Von Ottmar Schader. Er ist im Sozialreferat der Landeshauptstadt München verantwortlich für wirkungsorientiertes Controlling. Dieser Beitrag ist gekürzt übernommen aus Karl Peter Spinkart (Hg.) „Nachhaltigkeit messbar machen“.
Soziale Angebote erzielen nicht nur positive Wirkungen, die dem Einzelnen oder der Gesellschaft zugutekommen. Sie generieren auch soziale Wertschöpfungen. Diese zu quantifizieren und zu messen ist oftmals schwierig, gerade dann, wenn Angebote in den Sozialraum und damit auf gesellschaftlicher Ebene wirken. Finanzdaten liefern dazu keine Erkenntnisse über soziale Wertschöpfungen. Sie bilden nur die finanziellen Aufwendungen – den „Input“ – ab, der für die jeweiligen Produkte aufgewendet wird.
Ein Ansatz, diese Wertschöpfungen zu erfassen, sind Modelle zur Berechnung einer „Sozialen Rendite“, häufig auch als Social Return on Investment bezeichnet. Den Nutzen sozialer Angebote in Geldeinheiten auszudrücken, folgt einer allgemein verständlichen Logik.
Geld ist die Grundlage für den Austausch von Waren, Gütern und Dienstleistungen, für die Bedarfe des täglichen Lebens. Unternehmen arbeiten mit Bilanzen, in denen sich Gewinne und Verluste, Kosten und Erträge abbilden. Wirkungen sozialer Angebote monetär zu bewerten, beruht auf einer Adaption dieser Logik – auch wenn keine realen Geldflüsse stattfinden, die sich im kommunalen Haushalt niederschlagen.
Zu den Aufgaben von Kommunen zählt insbesondere auch die „Daseinsvorsorge“ für ihre Bürgerinnen und Bürger. Darunter fallen auch viele Angebote aus dem sozialen Bereich. In den Kategorien von Wirkungen und Wertschöpfungen zu denken und zu handeln, eröffnet Chancen auf verschiedenen Ebenen:
- In der öffentlichen Wahrnehmung werden soziale Angebote und Leistungen oftmals als Kostenfaktor gesehen. SROI-Modelle stellen dagegen das unternehmerische Denken des Investierens stärker in den Mittelpunkt. Über Investition zu sprechen, die für den sozialen Zusammenhalt einer Stadtgesellschaft von grundlegender Bedeutung sind, ist positiv konnotiert und wird dem gerecht, was hier tatsächlich geleistet wird. Dies hebt sich deutlich von bekannten Kostendebatten mit ihrer eindimensionalen Sichtweise ab.
- Die SROI-Methode ermöglicht politisch Verantwortlichen, öffentlichen Einrichtungen oder Stiftungen, ihre Entscheidungen über Kapitaleinsatz bzw. Mittelverwendung auf eine fundierte Grundlage zu stellen und ihr Handeln über klar festgestellte Wirkungen zu legitimieren.
Eine soziale Bilanzierung ist keine Bilanz im herkömmlichen Sinn. Es werden keine monetären Erträge erwirtschaftet, die unmittelbar in den kommunalen Haushalt als Einnahmen zurückfließen. Der Blick auf soziale Wertschöpfungen eröffnet eine zusätzliche Perspektive – jenseits von Einnahmen und Ausgaben, Gewinnen und Verlusten.
An dieser Stelle darf nicht unerwähnt bleiben, dass SROI-Modelle gerade bei Akteuren aus dem sozialen Bereich auch zu Irritationen führen können. Soziale Arbeit wendet sich im klassischen Verständnis Menschen zu und bietet in schwierigen Lebenssituationen Hilfe und Unterstützung. SROI-Modelle können in diesem Kontext auch als Einstieg in eine „Monetarisierung“ sozialer Arbeit gesehen werden.
Skepsis und Vorbehalten kann man nur mit einem offenen Dialog begegnen, in dem deutlich wird, was SROI-Modelle leisten können und wo ihre Grenzen sind.
Auf kommunaler Ebene stehen Politik und Verwaltung in permanenter Interaktion mit den Bürgerinnen und Bürgern. Bedarfe und Erwartungen, die das unmittelbare Lebensumfeld der Menschen betreffen, werden klar formuliert und erreichen meist ohne Umwege die Adressaten. Die Ergebnisse kommunalen Handelns sind unmittelbar sichtbar – im Positiven wie Negativen. Es ist deshalb wichtig, die intendierten Wirkungen ebenso klar zu beschreiben wie den gesellschaftlichen Mehrwert. SROI-Modelle können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass diese zentralen Botschaften bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommen. Eine Transparenz dieser Art erhöht auch die Akzeptanz.
SROI-Modell am Beispiel „Nachbarschaftstreffs“
Im Rahmen einer Studie wurden Ansätze zur Berechnung einer „Sozialen Rendite“ am Beispiel der Nachbarschaftstreffs (NBT) erarbeitet, die auch eine monetäre Bestimmung des gesellschaftlichen Mehrwerts und der Wirkungen des Produkts ermöglichen. Das SROI-Modell umfasst zwei Betrachtungsebenen:
- Welche Wertschöpfung erfolgt durch Nachbarschaftstreffs?
- Welchen Beitrag leisten Nachbarschaftstreffs zur Vermeidung von Risiken, die soziale Kosten nach sich ziehen?
Diesen methodischen Ansätzen folgend, konnte aus den bereits vorliegenden Daten zum Produkt „Quartierbezogene Bewohnerarbeit – Nachbarschaftstreffs“ die erste Betrachtungsebene, die positive Wertschöpfung, näherungsweise ermittelt werden – mit folgendem Ergebnis: Ein nicht unwesentlicher Anteil der Investitionen wird über Wertschöpfungen gegenfinanziert. In NBT werden Leistungen erbracht, die sonst über kommunale Mittel finanziert werden müssten.
Der durchschnittliche Finanzierungsaufwand pro NBT beträgt für die Kommune etwa 53.500 Euro. Für alle 38 NBT ergibt sich ein Fördervolumen von insgesamt 2,033 Millionen Euro (Stand: 2014).
Bewertet man die ehrenamtlich erbrachten Leistungen mit den ortsüblichen Stundensätzen für einfache Tätigkeiten in der Dienstleistungsbranche (ca. 10 Euro/Stunde), dann wird eine monetär messbare Wertschöpfung in Höhe von durchschnittlich 8.560 Euro pro NBT (856 Stunden/Jahr bzw. 16 Stunden/Woche) bzw. insgesamt von rund 325.000 Euro generiert.
Nicht berücksichtigt sind in dieser Modellrechnung positive Folgeeffekte, die sich aus den Angeboten von Nachbarschaftstreffs ergeben.
Davon können die Nutzerinnen und Nutzer dieser Einrichtungen, aber auch Menschen, die im Stadtviertel leben, unmittelbar profitieren. Beispiele für Folgeeffekte auf individueller Ebene sind:
- Eine Nachbarschaftshilfe, die ein Treff organisiert und kontinuierlich anbietet, kann wesentlich dazu beitragen, dass ältere Menschen länger in ihrer eigenen Wohnung bleiben und erst später in ein Alten- und Pflegeheim umziehen.
- Bildungsangebote und Hausaufgabenbetreuung für Kinder und Jugendliche verbessern die Chancen, einen guten Schulabschluss zu erreichen. Der Einstieg in eine qualifizierte Ausbildung gelingt dann meist ohne lang dauernde und teure Berufsvorbereitungskurse. Angebote dieser Art erleichtern es zudem Müttern und Vätern, Beruf und Familie zu vereinbaren.
- Bildungsangebote und Sprachtraining verbessern die Arbeitsmarktchancen gerade für gering qualifizierte Menschen. Sie leisten so einen Beitrag zur Existenzsicherung.
Auf gesellschaftlicher Ebene gibt es ebenfalls Beispiele für Folgeeffekte:
- Als Orte der Kommunikation und Begegnung fördern Nachbarschaftstreffs die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dies stärkt die Zivilgesellschaft und das Demokratieverständnis.
- Menschen engagieren sich für ihr Viertel – für die Verbesserung der Infrastruktur, mehr Lebensqualität und ein gutes Image.
- Soziale Kontakte und Netzwerke tragen ganz wesentlich dazu bei, dass sich das Sicherheitsgefühl im Wohnumfeld erhöht.
Bei der zweiten Betrachtungsebene der „Sozialen Rendite“, die Vermeidung von Risiken und deren soziale Kosten, geht es ebenfalls darum, eine Modellierung von Wirkungszusammenhängen vorzunehmen.
Dazu wurde im Rahmen der Studie ein Workshop mit Vertreterinnen und Vertretern der Wohnungswirtschaft durchgeführt.
Deren Sichtweise ist dabei ein wesentlicher Aspekt, da mögliche Risiken meist im unmittelbaren Wohnumfeld auftreten. Kommunale Wohnungsbauunternehmen haben deshalb eigene Angebote und Anlaufstellen (z. B. Mieterzentren, Mietschuldenberatung, sozial orientierte Hausverwaltung), um in individuellen Notsituationen mit den betroffenen Mieterinnen und Mietern Lösungen zu erarbeiten.
Nachbarschaftstreffs mit ihren sozialen Netzwerken wird aus Sicht der Wohnungswirtschaft dagegen ein präventiver Charakter zugeschrieben, der sich positiv auf das soziale Miteinander in den Wohnquartieren auswirkt und einen Beitrag dazu leistet, betriebswirtschaftliche und soziale Kosten zu vermeiden.
Im Rahmen des Workshops wurden verschiedene Indikatoren erarbeitet und diskutiert, die sich teilweise auch aus den betriebswirtschaftlichen Eckdaten der Wohnungsbaugesellschaften ableiten lassen:
- Vermeidung von Mieterwechsel/Kosten pro Umzug
- Vermeidung von Vandalismus
- Vermeidung von Mietschulden und Räumungsklagen
- Vermeidung von Konflikten durch Lärmbelästigungen durch das Bereitstellen von Räumen
- Schnelle Reaktion auf individuelle Notlagen/Förderung eines selbstständigen Lebens
Mithilfe der Wohnungswirtschaft konnten dazu valide Daten und Kostensätze ermittelt werden, die als vermiedene Kosten in die Berechnung der „Sozialen Rendite“ einfließen. Die Herausforderung liegt darin, den präventiven Beitrag zu quantifizieren, den Nachbarschaftstreffs zur Vermeidung der beschriebenen Folgekosten leisten.
Kommunale Wohnungsbaugesellschaften wie GEWOFAG und GWG bieten in ihren Mieterzentren beispielsweise Beratung und Unterstützung in Notsituationen (Mietschulden, Konflikte u. Ä.).
Die Fachstellen zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit in den Münchner Sozialbürgerhäusern beraten ebenfalls bei Mietschulden. Sofern die Zahl der Fälle dokumentiert wird, in denen Menschen mit Mietrückständen von Nachbarschaftstreffs aktiv und gezielt an die genannten Anlaufstellen verweisen, lässt sich auch der Beitrag zur Risikovermeidung konkret abschätzen. Hier gilt es noch, mit vertretbarem Aufwand eine belastbare Datenbasis zu schaffen. Wie hoch die monetären Effekte einer gezielten Strategie zur Risikovermeidung sind, zeigte eine Modellrechnung: Die GEWOFAG kalkuliert die Kosten für einen Mieterwechsel wegen Mietschulden mit 8.200 Euro, für eine Räumungsklage mit 15.000 Euro. 2013 wurden in den Mieterzentren der GEWOFAG 564 Haushalte wegen Mietschulden beraten. Sofern jeder der Nachbarschaftstreffs in einem einzigen Fall pro Jahr nachweislich mitwirkt, eine Kündigung wegen Mietschulden zu vermeiden, ergibt sich ein monetärer Effekt von insgesamt 287.000 Euro, der in die soziale Rendite einfließt.
Die Wirkungen sozialer Angebote sind meist nicht auf eine Ursache zurückzuführen. Sie sind multikausal und komplex – vor allem bei Wirkungen auf gesellschaftlicher Ebene. In diesem Sinne handelt es sich – wie hier dargestellt – in den meisten Fällen um Beiträge zu Wirkungen, da es unterschiedliche Einflussfaktoren gibt. Wenn Wirkungsziele formuliert werden, sollte dies auch klar zum Ausdruck kommen. Die Stringenz einer Wirkungslogik wird davon jedoch nicht zwangsläufig beeinflusst.
SROI-Modelle im Rahmen einer wirkungsorientierten Produktsteuerung – Chancen und Grenzen
Die Abbildung von Wirkungen in einem SROI-Modell setzt voraus, dass die positiven Effekte auch monetär bewertet werden können.
Dies ist auf der individuellen Ebene meist einfacher als auf der gesellschaftlichen.
Die Entwicklung von Modellen zur Berechnung von „Sozialen Renditen“ ist deshalb häufig Gegenstand wissenschaftlicher Analysen, die komplexe Zusammenhänge detailliert beleuchten. Untersuchungen dieser Art sind in der Regel jedoch mit einem sehr großen Aufwand verbunden. Sie können deshalb nur in größeren zeitlichen Abständen durchgeführt werden.
Im Rahmen einer wirkungsorientierten Produktsteuerung sollte ein SROI-Modell so angelegt sein, dass der operative Bereich mit seinen begrenzten personellen Ressourcen nicht zusätzlich belastet wird.
Dies ist dann möglich, wenn Daten zur operativen Arbeit so erfasst werden, dass sie die Wirkungslogik abbilden und sich daraus unmittelbar ein Modell zur Berechnung der sozialen Wertschöpfung ableiten lässt. In diesem Sinne ist die Einführung des „Social Reporting Standards“ (SRS) auch für ein SROI-Modell eine wichtige Voraussetzung.
Ein klar strukturiertes Reporting zu den unterschiedlichen Angeboten und Aktivitäten der Nachbarschaftstreffs sowie deren Wirkungen (z. B. Kursangebote, Nachbarschaftshilfen, Patenprojekte, Hausaufgabenbetreuung) bildet die Grundlage, um eine „Soziale Rendite“ berechnen zu können.
In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass SROI-Modelle die Wertschöpfung und Nachhaltigkeit von Investitionen widerspiegeln. Dies gibt Orientierung bei politischen Entscheidungen sowie planerischen und konzeptionellen Überlegungen. SROI-Modelle sind jedoch keine Instrumente für Controlling und Zielvereinbarungen im Rahmen der Produktsteuerung. Eine „Soziale Rendite“ über die Festlegung von Soll- und Istwerten zu operationalisieren, würde Sinn und Zweck dieser Modelle vollkommen verkennen.