Ausschnitt Cover Wie die Anwerbung von ausländischen Fachkräften gut gelingen kann

Skepsis überwinden, Know-how aufbauen: Ein Plädoyer für internationales Recruiting

Maja Roedenbeck Schäfer zu ihrem im März 2018 erscheinenden Buch  Wie die Anwerbung von ausländischen Fachkräften gut gelingen kann, über Vorurteile gegenüber dem Internationalen Recruiting, denen gute Chancen, nachhaltig Fachkräfte zu gewinnen, gegenüberstehen.

Internationales Recruiting – Ist das was für unsere Organisation?

Meist beginnt es mit einer E-Mail: Ein Bildungsinstitut aus Osteuropa fragt an, ob man nicht irgendwie kooperieren und Pflegekräfte nach Deutschland schicken könne. Eine Personalagentur sendet Hochglanzpräsentationen, die in schönstem Marketing-Sprech die Motivation asiatischer Krankenpfleger preisen. Oder eine ausländische Fachkraft bittet in rudimentärem Deutsch um Arbeit und fügt als Anhang etwas an, das entfernt an Bewerbungsunterlagen erinnert. Leicht überfordert löscht man als Personaler die Nachricht, denn woher soll man die Zeit nehmen, sich mit solch unkonkreten Ideen und unvollständig übersetzen Lebensläufen auseinanderzusetzen? Wer garantiert einem, dass die Personalagentur nicht zu viel verspricht? Und wen kann man fragen, was zu tun wäre, wenn man in Erwägung zöge, der einen oder anderen Anfrage nachzugehen? Doch das schlechte Gewissen meldet sich sofort. Das ungute Gefühl, vielleicht gerade die Chance verpasst zu haben, dem Fachkräftemangel in der eigenen Einrichtung strategisch zu begegnen. Erst recht, wenn die Konkurrenz kürzlich in der Lokalpresse die Ankunft von zehn internationalen Neuzugängen gefeiert hat.

Ziel meines im März 2018 erscheinenden Buches  Wie die Anwerbung von ausländischen Fachkräften gut gelingen kann ist es darum, Führungskräfte in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft zu befähigen, eine fundierte Entscheidung darüber zu treffen, ob internationales Recruiting als Methode zum eigenen Unternehmen passt. Jenen, die diesen Weg beschreiten möchten, wird aufgezeigt,

  • welche Schritte zu gehen sind,
  • welche realistischen Erfolge erwartet werden können,
  • mit welchen Hürden aber auch zu rechnen ist.

Und denen, die unvorbereitet losgelegt haben und ins Stocken geraten sind, werden Auswege und Optimierungsmöglichkeiten angeboten.

Denn da herkömmliche Maßnahmen der Personalgewinnung wie Stellenanzeigen und Karrieremessen auf dem abgegrasten deutschen Fachkräftemarkt schon lange nicht mehr den gewünschten Erfolg bringen, nehmen in der zeitgemäß aufgestellten Personalabteilung ihren Platz längst andere Methoden ein: etwa Recruiting-Apps oder die Direktansprache von Kandidaten in Karrierenetzwerken. Die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland kann ein weiterer Baustein sein.

Berechtigte Vorbehalte?

Die Befürchtung, dass die finanziellen und personellen Ressourcen und auch das Know How im Hause nicht ausreichen, um ein internationales Recruiting-Projekt zu stemmen, hält viele Arbeitgeber ab. Es wird vermutet, dass junge Menschen, die für eine Sozial- oder Pflegeausbildung nach Deutschland kommen, keine echte Berufung dafür in sich spüren, sondern lediglich die Chance ergreifen, der Perspektivlosigkeit in ihrer Heimat zu entfliehen.

Auch Berichte über schwarze Schafe unter den privaten, gewinnorientierten Arbeitsvermittlern, die an der Grenze zum Menschenhandel Fachkräfte mit Knebelverträgen an sich binden, als Leiharbeiter ausnutzen und ihnen nur einen Bruchteil ihres Gehalts auszahlen, sorgen für Unsicherheit. Die illegale Beschäftigung ausländischer Frauen in der häuslichen Pflege ist ein großes Problem – damit möchte man als Arbeitgeber nicht in Verbindung gebracht werden.

Presseberichte über gescheiterte Massenrekrutierungen vor allem aus Spanien bestimmen das Meinungsbild, obwohl die Bertelsmann-Studie „Internationale Fachkräfterekrutierung in der deutschen Pflegebranche“ dagegen hält, dass 73 Prozent der aus dem Ausland angeworbenen Pflegefachkräfte drei Jahre nach der Anwerbung noch in den befragten Unternehmen beschäftigt seien. Kritiker meinen, die Diskussion über internationale Personalgewinnung sei bloß ein Manöver, um von den Problemen in deutschen Krankenhäusern und Pflegeheimen abzulenken, die die ausländischen Fachkräfte auch nicht lösen würden.

Die Zweifel haben zudem eine entwicklungspolitische Dimension: Dürfen wir anderen Ländern ihre Krankenpflegerinnen abwerben mit der Folge, dass sich der Fachkräftemangel dann in diese Länder verlagert? Dass die jungen, gut ausgebildeten, arbeitsfähigen Menschen auswandern und nur Senioren zurückbleiben? Brain Drain nennen Experten das Phänomen.

Moralische Orientierung bietet im Bereich der Pflege der „Globale Verhaltenskodex der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für die internationale Anwerbung von Gesundheitsfachkräften“ von 2010, den die Bundesregierung unterstützt. Er empfiehlt, „von der aktiven internationalen Abwerbung von Gesundheitsfachkräften aus Entwicklungsländern mit einem kritischen Mangel an Gesundheitsfachkräften abzusehen.“ 57 Länder mit einem kritischen Mangel werden gelistet. Wer sich nicht daran hält, riskiert eine Strafe.

Doch der Kodex erfährt Kritik von verschiedenen Seiten. Die Stiftung Wissenschaft und Politik hält ihn für widersprüchlich. Auf ihrer Webseite schreibt die Stiftung: „[Der Kodex] empfiehlt, auf die Rekrutierung aus bestimmten Ländern zu verzichten, will aber gleichzeitig das Recht der Fachkräfte auf internationale Mobilität nicht beschränken.“ Das passe nicht zusammen, heißt es auch im Strategiepapier „Arbeitsmigration und Pflege“ der Diakonie Deutschland: Arbeitsmigration gehöre zur Menschheitsgeschichte ebenso wie zu den Menschenrechten. Laut genanntem Strategiepapier wird der Kodex sowieso fehlinterpretiert. Er untersage keineswegs grundsätzlich die Anwerbung aus den gelisteten Ländern, sondern fordere nur, dass beide Seiten profitieren sollen: das Herkunfts- und das Zielland. Wer entwicklungsfördernde Projekte vor Ort unterstützt und Fachkräften, die dies wünschen, eine geordnete Rückkehr in die Heimat ermöglicht, könnte den Forderungen möglicherweise schon gerecht werden.

Einen weiteren Aspekt bringt Jessica Hernández von der Unternehmensberatung contec, die an der Bertelsmann-Studie „Internationale Fachkräfterekrutierung in der deutschen Pflegebranche“ mitgewirkt hat, ins Spiel: „Der Verhaltenskodex der WHO steht in Fachkreisen in der Kritik, weil die Empfehlungen auf teils sehr veralteten Zahlen beruhen. Aus Indien sollen wir beispielsweise nicht rekrutieren, weil es dort weniger als die durchschnittlichen 2,28 Ärzte, Pfleger und Hebammen pro 1.000 Kopf der Bevölkerung gibt, doch die Berechnungen beruhen auf Zahlen von 1996. Der Grenzwert wurde aus dem Jahr 2006 übernommen. Zwischen Ländern, aus denen rekrutiert werden darf, und Ländern, aus denen nicht rekrutiert werden soll, bestehen teils nur minimale Unterschiede.“ An diesem Beispiel zeigt sich symptomatisch, wie die Bemühungen offizieller Stellen, für mehr Orientierung auf dem Feld der Arbeitsmigration zu sorgen, eher mehr Verwirrung stiften.

Chancen, die das internationale Recruiting eröffnet

Den Vorbehalten gegenüber stehen die Chancen, die das internationale Recruiting eröffnet. Sie gehen weit über die Möglichkeit, vakante Arbeitsplätze zu besetzen, hinaus:

Erstens: Wer legale Wege der Arbeitsmigration schafft, wirkt ihren illegalen Auswüchsen entgegen.

Zweitens: Wer Multi-Kulti wagt, entwickelt sich als Arbeitgeber weiter und macht sein Unternehmen zukunftsfähig. „Eine vielfältige Belegschaft vereint umfangreiches Wissen mit unterschiedlichen Sichtweisen, Erfahrungen und Lösungswegen. Diese Vorzüge sind eine Quelle für mehr Flexibilität, Kreativität und Innovationsfähigkeit sowie für die Verbesserung von Prozessen und die Steigerung der Produktivität“, schreibt Matthias Schneider im Leitfaden „Nachhaltige internationale Personalgewinnung“ des Bildungswerks der Baden-Württembergischen Wirtschaft.

Drittens: Wer Vielfalt großschreibt, positioniert sich als moderner Arbeitgeber. Nicht umsonst schmücken sich große Wirtschaftsunternehmen mit so genannten „Diversity Managern“, also Mitarbeitern, die dafür sorgen sollen, dass sich die Belegschaft möglichst bunt zusammensetzt und dabei keine Reibungsverluste entstehen. Gerade bei der Generation Y, den heute knapp über Dreißigjährigen, die als erste Generation mit digitalen Medien aufgewachsen sind und Globalisierung als Naturzustand begreifen, kommt das gut an.

Viertens: Multi-Kulti ist sowieso schon längst in deutschen Sozial- und Gesundheitseinrichtungen angekommen. Der Anteil von Patienten mit Migrationshintergrund in den Einrichtungen nehme zu, betont die Diakonie Deutschland in ihrem Strategiepapier „Arbeitsmigration und Pflege“: „Hier bringt Pflegepersonal mit internationalem Hintergrund wichtige Erfahrungen für die Gestaltung des Pflegeprozesses ein. Gerade älter werdende Eingewanderte wünschen eine Pflege, die ihre mit ihrem Herkunftsland verbundene Identität sowie daraus erwachsende Bedürfnisse berücksichtigt.“

Skepsis überwinden – Know-how aufbauen

Doch trotz der genannten und vieler weiterer Argumente überwiegt im Sozial- und Gesundheitswesen die Skepsis. Arbeitgeber der Branche zögern beim Thema internationales Recruiting genauso wie beim Social Recruiting (Personalgewinnung in den sozialen Netzwerken) oder beim Active Sourcing (Direktansprache von Pflegekräften in Karrierenetzwerken und Lebenslaufdatenbanken). „Trotz der anhaltenden Schwierigkeiten, adäquates Personal zu gewinnen, ist die Rekrutierung aus dem Ausland nur das letzte Mittel der Wahl“, resümiert die Bertelsmann-Studie „Internationale Fachkräfterekrutierung in der deutschen Pflegebranche“. „Gerade einmal ein Sechstel der Betriebe wählt diesen Weg. Im Osten Deutschlands sind es sogar noch weniger. Lieber werben die Einrichtungen Personal von der Konkurrenz ab oder versuchen, den Krankenstand zu senken. Zu aufwändig, zu teuer, zu hohe rechtliche und sprachliche Hürden lauten die Begründungen für die Zurückhaltung.“ In Zahlen: 16 Prozent der in 2015 befragten Pflegeeinrichtungen rekrutierten aus dem Ausland, 41 Prozent konnten sich vorstellen, dies in Zukunft zu tun, und 59 Prozent lehnten diese Methode aus genannten Gründen ab.

Doch die Argumentation „zu kompliziert, zu teuer, zu aufwändig“ hinkt. Bei keinem der Pioniere, die heute erfolgreich internationales Recruiting betreiben, waren von Anfang an ausreichend Geld, Zeit und Know How vorhanden. Die Programme entstehen ja nicht, weil die Personalabteilung Langeweile hat und nicht weiß, wohin mit ihrem Etat, sondern weil der Leidensdruck so groß geworden ist, dass es nicht mehr anders geht.

Das Motto lautet allerorts „learning by doing“. Verantwortlichkeiten werden geklärt, zunächst vorübergehende und dann langfristige Finanzierungsmöglichkeiten gefunden, Expertenwissen wird in Anspruch genommen. Fehler werden gemacht und nachgebessert. Und irgendwann läuft die Sache. Auch wenn laut der erwähnten Bertelsmann-Studie 54 Prozent der Pflegeeinrichtungen, die sich im internationalen Recruiting betätigen, den Aufwand als hoch oder sehr hoch einschätzen, sind 60 Prozent zufrieden oder sehr zufrieden mit den im Ausland angeworbenen Fachkräften.

Natürlich gibt es Gegenbeispiele, Rückschläge und Hindernisse. Im Buch setze ich mich auch mit Projekten auseinander, die gescheitert sind, und gehe der Frage nach, warum dies so war.

Fazit: Das internationale Recruitings sollte weder beschönigt, noch verteufelt werden. Es ist eine Methode der Personalgewinnung, die wie alle anderen auch ihre Vor- und Nachteile mit sich bringt. Die den Fachkräftemangel nicht alleine besiegen kann und auch kein einfacher Lösungsansatz ist. Auf jeden Fall aber ist es eine ernstzunehmende Alternative zu den herkömmlichen Rekrutierungsmethoden.



 „Wie die Anwerbung von ausländischen Fachkräften gut gelingen kann – Internationales Recruiting im Sozial- und Gesundheitswesen“ (Walhalla, 2018).