Die Vorstellung des Gesetzgebers ist klar: In weiten Bereichen der sozialwirtschaftlichen Leistungserbringung, namentlich in den zentralen Aufgabenfeldern Sozial- und Eingliederungshilfe, Kinder- und Jugendhilfe und Pflege, sollen Inhalt, Umfang und Qualität der zu erbringenden Dienstleistungen und die dafür zu entrichtenden Entgelte durch Verträge („Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen“) geregelt werden (1).
Leitbild…
Auf dieser Grundlage ist die Verpflichtung des sozialwirtschaftlichen Unternehmens begründet, den Auftrag des öffentlichen Leistungsträgers gegenüber den Klientinnen und Klienten zu erfüllen, damit diese die ihnen gesetzlich zustehenden Sozialleistungen tatsächlich in Anspruch nehmen können (§ 17 Abs. 1 SGB I). Im Gegenzug erfolgt die Zusage des öffentlichen Trägers, hierfür finanziell aufzukommen. Dabei sind die jeweiligen Entgelte unter Ausgleich der Interessen der Parteien zu bestimmen. Die „Preise“ sind wegen des Umgangs mit öffentlichen Finanzmitteln insbesondere unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (vgl. § 75 Abs. 1 Satz 5 SGB XII) zu bemessen, aber so, dass sie sich „leistungsgerecht“ zur übernommenen Verpflichtung des Anbieters zeigen.
…und Wirklichkeit
Tatsächlich scheint dieser Mechanismus zunehmend außer Kraft gesetzt. Die Klagen aus der Sozialbranche über nicht (mehr) angemessene Entgelte häufen sich. Alarmzeichen wie Angebotseinschränkungen und Schließung von Einrichtungen weisen auf Konsolidierungsbedarfe vieler Leistungserbringer hin. Große Komplexträger suchen Übernahmeinteressenten für Sparten, die sich für sie „nicht mehr rechnen“.
Der Blick auf die Praxis zeigt gleichzeitig auch Widersprüche. Da sind unverändert Träger, die keine kontinuierliche Neuverhandlung der Leistungsentgelte suchen, sei es wegen fehlender fachlicher oder personeller Ressourcen oder weil man das „gute Verhältnis“ zum Kostenträger nicht stören will. Ein guter Kenner der Szene hat es in Gegenwart des Autors vor kurzem so formuliert: „Viele Anbieter tragen trotz ihrer Probleme immer noch die Samthandschuhe“. Das schließt den jedenfalls regional oft verpönten Gang vor die Schiedsstelle ein, auch wenn sich aus Sicht der Leistungserbringer angemessene Vergütungen auf anderem Wege nicht vereinbaren lassen (2).
Den öffentlichen Kostenträgern mag das recht sein. Nicht selten stehen dort das Beharren auf in der Vergangenheit getroffenen Abreden und primär haushaltsbezogene Erwägungen über der aktiven Interpretation des gesetzlichen Sicherstellungsauftrags (Beyer 2022: 51). Der schließt aber im Zweifel ein, die Bestandsgefährdung notwendiger Leistungsangebote abzuwenden (Beyer 2024: 107).
Schließlich hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur stationären Altenpflege über geraume Zeit nicht dazu beigetragen, die gesetzliche Konzeption der Entgeltbemessung wirksam werden zu lassen.
Gewinne in der Sozialwirtschaft – notwendig und legitim
Erhalt und nachfragegerechter Ausbau der Infrastruktur etwa im Bereich Pflege liegen ebenso im öffentlichen Interesse wie ihre verstärkte Zuwendung zu Innovationen, nicht zuletzt bei der Digitalisierung und dem Einsatz von KI. Darüber hinaus sieht sich der Sektor zunehmenden Anforderungen ausgesetzt, als Halter eines großen Immobilienbestandes seine Verantwortung für eine ökologisch nachhaltige Wirtschaftsweise künftig stärker wahrzunehmen.
Innovationsfähigkeit und Zukunftssicherung lassen sich nur auf der Grundlage einer betriebswirtschaftlich erfolgreichen Tätigkeit gewährleisten. Auch die Sozialwirtschaft ist -jedenfalls in diesem Umfang – auf Gewinnerzielung angewiesen. Im Quasi-Markt, der gesellschaftliche Bedarfe mittels öffentlicher (Mit-)Finanzierung zu decken hat, treten die gesetzlich vorgegebenen Verfahren zur Herbeiführung von Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen an die Stelle der freien Preisfindung am Markt. Lassen sich Unternehmensgewinne für die Sozialwirtschaft folglich nur in diesem Rahmen realisieren, so haben sie im Gegenzug auch im Umfang der gesetzgeberischen Konzeption als systemadäquat zu gelten.
Der Gesetzgeber erkennt sowohl die Notwendigkeit wie auch die Legitimität einer Gewinnchance in der Sozialwirtschaft an. So regelt § 84 Abs. 2 Satz 5 SGB XI nicht nur, dass im Rahmen der vereinbarten Entgelte für die pflegerische Versorgung etwaige Überschüsse „dem Pflegeheim“ – richtig: dessen Rechtsträger – verbleiben. Seit Inkrafttreten des Dritten Pflegestärkungsgesetzes (PSG III) 2017 sieht § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB XI vor, dass Pflegesätze einem Pflegeheim bei wirtschaftlicher Betriebsführung nicht nur ermöglichen „müssen“, seine Aufwendungen zu finanzieren und seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen, sondern dies ausdrücklich auch „unter Berücksichtigung einer angemessenen Vergütung seines Unternehmerrisikos“. Das Bundessozialgericht hat zutreffend geklärt (3) , dass die Berücksichtigung einer kalkulatorischen Gewinnchance allgemein im Einklang steht mit dem das System der Entgeltfinanzierung kennzeichnenden Grundsatz einer leistungsgerechten Vergütung (Holtkamp/Schellberg 2023: 109).
Mäandernde Rechtsprechung
Im Bereich der stationären Pflege hat der Gesetzgeber mit § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB IX nach seiner eigenen Verdeutlichung (4) „klargestellt, dass dem Einrichtungsbetreiber eine Gewinnchance zusteht und seine unternehmerischen Risiken berücksichtigt werden sollen“. Umso weniger verständlich erscheint, dass gerade der für die Pflege zuständige 3. Senat des BSG in den letzten Jahren durch eine mäandernde Rechtsprechung für Unklarheiten gesorgt hat, die von einzelnen Akteuren insbesondere auf Seite der Kostenträger gerne aufgegriffen wurden. Hatte er im Jahr 2013 entschieden, es sei grundsätzlich von den Vertragspartnern hinzunehmen, wenn die Schiedsstelle im Rahmen ihres Beurteilungsspielraumes in vertretbarer Weise mit der Festsetzung der Pflegevergütung zugleich die Grundlage für die Realisierung von Gewinnchancen setzt (5), verwarf er 2019 ungeachtet der gesetzgeberischen Klarstellung die Festsetzung eines pauschalen „Gewinn- bzw. Risikozuschlag“ als rechtswidrige Aufgabenwahrnehmung der Schiedsstelle (6).
Mit der Entscheidung vom 19. April 2023 ist der Senat dann zu seiner Rechtsprechung aus dem Jahr 2013 zurückgekehrt. Getrennt von den voraussichtlichen Gestehungskosten einer Einrichtung sei eine angemessene Gewinnchance zu bemessen. Diese sei aber nicht schematisch, sondern abhängig von den Gegebenheiten des Einzelfalles „einrichtungsbezogen leistungsgerecht“ auszuhandeln bzw. festzulegen (7).
Auftrag der Akteure
Alle Beteiligten sind nun aufgerufen, im Interesse der Konsolidierung des Sektors ihre Rolle bei der Entgeltfindung konstruktiv und aktiv wahrzunehmen: Die Leistungserbringer durch belastbar kalkulierte, regelmäßig und rechtzeitig vorgelegte Anträge auf (Neu-)Abschluss und die Leistungs- und Kostenträgerseite durch eine am gesetzlichen Sicherstellungsauftrag orientierte Verhandlungsführung. Dieser schließt die weitere wirtschaftliche Handlungsfähigkeit der Erbringerseite ebenso ein wie die Wahrnehmung ihrer Innovations- und Nachhaltigkeitsbelange. Und er impliziert, dass die Dachverbände der Leistungsträger die Kostenvermeidungstaktik im Einzelfall um eine Strategie der intensiveren Mitwirkung am (gesellschafts-)politischen Diskussionsprozess um die angemessene Finanzierung der sozialrechtlichen Leistungsansprüche ergänzen.
Beim Scheitern einer Pflegesatz- bzw. Entgeltverhandlung kommt den Schiedsstellen die Aufgabe zu, die Pflegesätze festzusetzen (§§ 76 Abs. 1, 85 Abs. 5 SGB XI). Sie nehmen ihre Rolle als „Streitschlichtungsregulativ in einem grundsätzlich auf eine vertragliche Vergütungsbestimmung ausgerichteten System“ (8) wahr. Nach der gesetzgeberischen Konzeption dieses System ist damit auch die Gewährleistung der angemessenen Vergütung des Unternehmerrisikos Teil Ihres Auftrags (9).
(1) §§ 75 ff. SGB XII; §§ 123 ff. SGB IX; §§ 78 b ff. SGB VIII; §§ 82 ff. SGB XI.
(2) Bspw. § 77 Abs. 2, § 81 SGB XII und § 76, § 85 Abs. 5 SGB XI.
(3) BSG v. 8.12.2022 – B 8 SO 8/20 R, BeckRS 2022, 47170, Rdnr. 20.
(4) BT-Drs. 18/10510, S. 117.
(5) BSG v. 16.5.2013 – B 3 P 2/12 R = BSGE 113, 258 ff., Rdnr. 26.
(6) BSG v. 26.9.2019 – B 3 P 1/18 R = BSGE 129, 161 ff.
(7) BSG v. 19.4.2023 – B 3 P 6/22 R = SRa 2023, 280 ff.
(8) BSG v. 19.4.2023 – B 3 P 6/22 R = SRa 2023, 280, 284.
(9) Vgl. die „Grundsatzbeschlüsse“ der Schiedsstelle nach § 76 SGB XI für Baden-Württemberg
vom 6.5. und 10.6.2024, BWKG, Mitteilung für Pflegeeinrichtungen 118/2024.
Literatur:
Beyer, Thomas (2022): Recht für die Soziale Arbeit. 3. Auflage. Baden-Baden.
Holtkamp, Claudia/Schellberg, Klaus (2023): Finanzierung von Organisationen der Sozialwirtschaft. 2. Auflage. Regensburg.
Prinz, Thomas/Kränzl-Nagl, Renate (2024): Krisenfestigkeit sozialwirtschaftlicher Unternehmen. 1. Auflage. Regensburg
Prof. Dr. iur. Thomas Beyer hat eine Professur für Recht an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt inne. Er ist Mitglied des Beirats der Blauen Reihe für Sozialmanagement im Walhalla Verlag Regensburg. <