Nach den Personalkosten ist die Beschaffung der zweitgrößte Budgetposten sozialer Dienstleister. Führungskräfte tun daher gut daran, auch diesen Posten im Auge haben. In seinem neuen Buch „Innovatives Beschaffungsmanagement in der Sozialwirtschaft“ analysiert Walhalla-Autor Prof. Dr. Paul Brandl die Optimierungsmöglichkeiten von Beschaffungsprozessen. Was kann ihr Beitrag zum größtmöglichen Kundennutzen sein? Wie kann mit minimalem personellen, finanziellen und materiellen Ressourceneinsatz möglichst ökologisch und wirtschaftlich gearbeitet werden? Wie kann eine Einstufung von Prozessen und Dienstleistungen erfolgen? Die Walhalla-Fachredaktion hat mit Prof. Brandl im Vorfeld gesprochen.
Herr Prof. Brandl, die Prozessoptimierung im Sozialen Sektor ist einer Ihrer Arbeits- und Forschungsschwerpunkte. Wie professionell ist die Sozialwirtschaft hier bereits aufgestellt?
Brandl: Derzeit steht das Thema „Personal“ im Vordergrund. Der Mangel an Fachkräften setzt den Organisationen und Unternehmen im operativen Geschäft zunehmend Grenzen. Zudem haben viele finanzielle Schwierigkeiten, beides dominiert die aktuelle Lage. Optimierungsbemühungen sind deshalb häufig schwierig, denn für eine weitere Steigerung des Outputs im Sinne von „Weiter so“ bedürfte es sehr großer finanzieller und personeller Aufwendungen. Hinzukommt, dass die IT-Ausstattung in der Regel nicht auf dem neuesten Stand ist. Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit und Hygiene sind weitere Anforderungen, die es zu bewältigen gilt. Eine integrierende, zukunftsorientierte Weiterentwicklung der Prozesse, die diese Anforderungen einbezieht, ist aber nicht wirklich im Blick der meisten Führungskräfte. Ohne sie ist ein Ausweg aus dem Dilemma aus meiner Sicht aber kaum möglich.
Wie können soziale Dienstleistungen nachhaltiger und mit weniger Ressourcenaufwand und erstellt werden?
Aktuell ist es so, dass meist hier und dort optimiert wird, am Ende hat man dann punktuell gut laufende Prozesse, aber diese sind nicht aufeinander abgestimmt. Eine prozessbasierte Organisation hingegen richtet sich an einem dreiteiligen Managementsystem aus: Am langfristigen Nutzen für die Organisation bzw. das Unternehmen, übersetzt auf die mittelfristig formulierten Strategien und integriert in die täglichen Arbeitsabläufe.
Sie plädieren dafür, den Einkauf von Produkten und Dienstleistungen auch in der Sozialwirtschaft als Teil eines ganzheitlichen Beschaffungsprozesses zu sehen und ihn in Reifegraden weiterzuentwickeln. Warum/wozu ist das wichtig?
Die Ausrichtung am klassischen Kaufvertrag sprich Einkaufspreis, Menge und Zahlungskonditionen reicht nicht mehr aus. Es braucht ein Verständnis für den Beschaffungsprozess im Sinne von „Wer macht welche Tätigkeiten im Rahmen der Lieferung, Lagerung und Entsorgung“. Damit klären sich auch die im Zuge dieses Prozesses anfallenden Tätigkeiten und Kosten. Damit hat man einen Überblick über Stärken und Schwächen des Prozesses und damit über seinen Reifegrad. Der Reifegrad ist quasi der Body-Mass-Index (BMI): Stufe 5 ist der digital unterstützte und agil organisierte Prozess. Digitale Prozessschritte sind hygienisch einwandfrei und laufen in der Regel deutlich schneller ab. Die Zusammenarbeit mit Lieferanten kann so beschleunigt und der Weg der Dienstleistung zu den oft vulnerablen Kund:innen/Klient:innen (deutlich) verkürzt werden.
In Ihrem neuen Buch „Innovatives Beschaffungsmanagement in der Sozialwirtschaft“ zeigen Sie anhand von zahlreichen Praxisbeispielen, wie etwa Träger von Seniorenheimen ihre Beschaffungsprozesse komplett neu aufgerollt haben. Mit welchem Ergebnis?
Durch eine digital unterstützte Arbeitsweise wurde der Personalmangel verringert, die Hygiene verbessert und Bedürfnisse der Kund:innen bzw. Klient:innen besser erfüllt. Die im Buch dargestellten Beispiele belegen dies bei allen untersuchten Prozessen eindrücklich.
Eines der zentralen Themen ist die Verblisterung von Medikamenten, um vulnerable Klient:innen schneller, sicherer und effektiver zu versorgen. Wie wird hier der Schutz sensibler Gesundheitsdaten gewährleistet?
Die Anwendung der Prinzipien der Medizinethik und der DSGVO ermöglichen dies: Jede/r Patient:in muss über die Vorgangsweise informiert werden und schriftlich zustimmen. Jede/r Mitarbeiter darf nur jene Tätigkeiten ausführen, für die er/sie qua Gesetz und IT berechtigt ist. Die mit den jeweiligen Klient:innen ausgeführten Tätigkeiten werden schriftlich protokolliert und sind mehrere Jahre nachvollziehbar.
Ohne Digitalisierung geht Professionalisierung nicht, ist die Botschaft. Die passiert in vielen sozialwirtschaftlichen Organisationen zwar, aber wie Sie betonen, vielfach noch als Insellösung. Was wäre Ihr Ratschlag?
Eine durchgehend prozessbasierte Organisation bedarf einer digitalunterstützten und agil organisierten Arbeitsweise. Die Ausrichtung am Nutzen der Organisation braucht die Zusammenarbeit aller Beteiligten. Es ist davon auszugehen, dass das Changemanagement für alle Prozesse mehrere Jahre dauert. Führungskräfte müssen so einen Prozess nicht nur begleiten, sondern sichtbar unterstützen, damit alle Beschäftigten und auch die Klient:innen ihn mitgehen.
Walhalla Fachredaktion: Danke für das Gespräch!
Hier geht es zum Buch: Innovatives Beschaffungsmanagement in der Sozialwirtschaft