Ein Gastbeitrag von FH-Prof. Dr. Paul Brandl
Beobachtungen zum Personalmangel als Ausgangspunkt …
Personalmangel ist in aller Munde. Von der teilweisen Sperre von Einrichtungen und Aufnahmestopps in Einrichtungen ist die Rede und darauffolgend schnell auch Bemühungen für
- verstärkte Ausbildung im In- und Ausland, die AbsolventInnen erst in zwei bis drei Jahren hervorbringt
- verstärktes Personalmarketing, wobei andere Branchen auch mit Personalmangel zu kämpfen haben
- Attraktivierung des Sozialbereiches
- Rekrutierung im Ausland
- Einführung einer Pflegelehre etc.
Etwas seltener schon hört und liest man die Forderung nach
- schnellerer Anerkennung von Ausbildungen außerhalb der EU (Nostrifizierung)
- Bemühungen zur verstärkten Anerkennung von informell erworbenen Qualifikationen
- modulartigen Ausbildungsmöglichkeiten zum sukzessiven unternehmensinternen und –übergreifenden Erwerb von Qualifikationen
- Realisierung einer internen „Arbeitsvermittlung“ in größeren Betrieben etwa über Jobbörsen verbunden mit gezielten Weiterbildungsaktivitäten etwa in Form von Teilzeitbörsen
- Rekrutierung von Personengruppen mit dem Wunsch nach Teilzeitbeschäftigungen wie z.B. von Pensionisten oder Karenzierten
- Verbesserung der Ausstattung von Einrichtungen im Bereich IT, Arbeitsbehelfe, Gebäude, etc.
Noch viel weniger hört man allerdings von den folgenden drei Möglichkeiten:
- Der strategische Einsatz von den Möglichkeiten der Digitalisierung zur Verminderung der Arbeitsmenge, so dass mit demselben Personal eine größere Klientenmenge betreut werden kann.
- Der Einsatz neuerer organisatorischer Erkenntnisse aus dem Bereich der Logistik und der Agilität mit derselben Zielsetzung.
- Das Schaffen von sozialen Dienstleistungen aus dem Blickwinkel der Kunden ermöglicht nicht nur geringeren Ressourceneinsatz und modularisierte Dienstleistungen, sondern gleichzeitig auch mehr Kundennutzen.
Diese drei Möglichkeiten sollen in der Folge unter die Lupe genommen werden.
Identifizieren der „Entwicklungstreiber“ …
Von problemorientierten Lösungen und dem Input-Output-Denken sowie den „Weiter so“-Aktivitäten muss man wegkommen, wenn man zukunftsorientierte und adressatengerechte Lösungen für soziale Probleme sucht und finden will.
Betriebswirtschaftlich gesehen ist nach den Gestaltungstreibern der Sozialwirtschaft für die nahe Zukunft und in der Folge nach lösungsorientierten Antworten zu fragen.
Die folgenden fünf Punkte wären dazu erste Antworten:
- Digitalisierung beginnt bei den Möglichkeiten der klassischen IT vom Workflow bis hin zum elektronischen Generieren von Daten etwa bei der Messung von Vitalwerten und ihre Übermittlung in die Pflegedokumentation. Damit eröffnet sich ein Potenzial, das es ermöglicht verfügbare Arbeitszeit „anders“ effizienter zu nutzen.
- Logistische Erkenntnisse im Zuge der Einführung von Prozessorganisation führen verbunden mit technologischen Neuerungen zu ökonomisch optimierbaren Prozessen mit höherem (technologischen) Reifegrad. Ein weiteres Potenzial, das zu mehr Kundennutzen bei geringeren Kosten führen könnte. Schließlich könnte aus der Umsetzung von agilen Organisationen weiteres Wertschöpfungspotenzial-Potenzial generiert werden.
- Demografische Entwicklungen: gemeint sind zum einen die Entwicklung der Geburtenrate zusammen mit der Immigration von Personen aus dem Ausland und zum anderen die zunehmend älter werdende Bevölkerung.
- Würde man die Versorgung älterer Personen konsequent auf die Belieferung durch die Post oder andere Botendienste umstellen, so könnte das zur Isolierung bzw. Vereinsamung von älteren Personen führen. Daher wird die Teilhabe von älteren und beeinträchtigten Personen am gesellschaftlichen Leben zu einem zentralen Thema.
- Personalmangel vermischt mit unterschiedlich hoher Leistungsmotivation neu eintretender junger MitarbeiterInnen, begleitet von der anstehenden Pensionierungswelle der geburtenstarken Jahrgänge und der Integration von MitarbeiterInnen mit nichtdeutscher Muttersprache und durchwachsenen Deutschkenntnissen. Eine schnelle Lösung ist nicht absehbar, vielmehr eine Vielzahl von Maßnahmen.
Diese fünf Punkte lassen sich mit diversen Studien noch konkretisieren und differenzieren. Jedenfalls steht eine Führungskraft somit im Zentrum eines Managementsystems mit vielen gleichzeitigen und auch widersprüchlichen Anforderungen. Die Bewältigung dieser sich scheinbar und tatsächlich widersprechenden Anforderungen erfordert auch MitarbeiterInnen als Mitgestalter der Arbeitswelt. Führungskräfte und MitarbeiterInnen sind aufgerufen, an der lösungsorientierten Umsetzung folgender Punkte mitzuarbeiten.
Lösungsorientierte Antworten zur Diskussion …
Das lineare Fortschreiben des Bestehenden wird nicht mehr lange möglich sein, Antworten in alten Mustern des „Input-Output-Denkens sind im Sinne der Problemorientierung zu erwarten, neue Denkweisen und Verhaltensweisen für Führungskräfte müssen erst entwickelt werden.
Wie lässt sich nun der Personalmangel vermindern? Die Rekrutierung einer ausreichenden Anzahl qualifizierter Personen ist – auch mit Blick in andere Branchen – nicht möglich. Daher muss die Fragestellung anders formuliert werden und auf die Menge der zu leistenden Arbeit gerichtet sein:
Wie kann die erforderliche, demographisch gesehen wachsende Arbeitsmenge etwa im Bereich der Altenbetreuung und -pflege vermindert werden und wie können gleichzeitig die Bedürfnisse der Zielgruppen bestmöglich erfüllt werden?
Die Antworten sind hier skizzenhaft dargestellt und sollen zu Diskussionen anregen:
- Haben wir bisher Effizienz nach dem Input-Output-Denken definiert und verlangt, dass die bisher eingesetzten Ressourcen möglichst noch sparsamer eingesetzt werden müssen, so verlangt nun ein Effizienzmodell nach dem Einsatz von möglichst wenig Ressourcen, um die bestehenden Dienstleistungen erstellen bzw. die Bedürfnisse der Kunden (aus der Sicht der Kunden) abdecken zu können. Dies ist nur mit einem Input – Prozess – Output – Denken möglich.
- Nachdem man den Prozess in das Input-Output-Modell aufgenommen hat, bedarf es auch der konsequenten Einführung der Prozessorganisation und ermöglicht das Optimieren der Arbeitsabläufe hin zu Prozessen. Im Zentrum steht dabei das Beseitigen von nichtwertschöpfenden Teilprozessen durch unregelmäßige Auslastung, Überlastung und Verschwendung vom Lieferanten über den Dienstleister bis hin zum Kunden. Damit kann für die Erstellung einer Dienstleistung notwendige Arbeitszeit verringert und Spielraum für die Versorgung weiterer KlientInnen gewonnen werden – bei gleichbleibender Arbeitsgeschwindigkeit.
- Den obigen Gedanken weitergeführt erfordert dies den strategischen Einsatz der Möglichkeiten der Digitalisierung, um nicht-wertschöpfende Prozesse (etwa lagern, transportieren, warten, schlechte Ausstattung, Doppelarbeiten, …) zu vermindern und Dienstleistungen auf die sich verändernden Anforderungen der KlientInnen auszurichten. Damit wird auch ein (Neu-)Gestalten von sozialen Dienstleistungen aus der Kundenperspektive möglich.
- Wenn man nun den Ansätzen des New Work (= agile Organisation) vertraut und sie ausprobiert, dann kann (siehe Buurtzorg) durch die Aufteilung der Führungstätigkeiten auf mehrere Personen eines Teams ebenfalls Arbeitszeit eingespart werden. Gleichzeitig soll das – die Anpassung der IT vorausgesetzt – zu mehr Zufriedenheit der MitarbeiterInnen führen. Vorbild für eine möglichst geringe Hierarchie sind Modelle rund um die „agile Organisation“. Fundierte wissenschaftlich abgesicherte Untersuchungen und gute Praxisbeispiele wären/sind hilfreich für das Umsetzen in die Praxis.
- Die Organisation wird in jedem Fall komplexer und damit braucht es auch ein Qualitätsmanagement, das über die Qualitätssicherung hinausgeht und die obigen Punkte zu integrieren vermag. Unternehmensübergreifende Standardisierung muss auch bei gleichartigen sozialen Dienstleistungen eingesetzt werden, ebenso die Integration technologischer Neuerungen und wissenschaftlicher Erkenntnisse. Damit ist nach einem prozessbasiertes Qualitätsmanagement Ausschau zu halten, das auch die Reifegrade von Prozessen und Dienstleistungen enthält.
Einladung zum Entwickeln
Wenn es nun darum geht, die Komfortzone des Input-Output-Modells zu erweitern, dann braucht es neben dem neuen Denken in die Richtung eines Input-Prozess-Output-Modells auch der Ausbildung und Förderung von Führungskräften, die sich dieses neue Denken aneignen wollen/müssen. Deshalb unterteilen wir Führungskräfte in folgende Segmente:
- Zu oberst sehen wir im Sinne einer Performance Pyramide die Entscheidungsträger der sozialen Verwaltung und die Aufsichtsräte der sozialen Dienstleister, die Entwicklungen in die Zukunft anstoßen und mittragen müssen. Sie benötigen ein neues Verständnis.
- Dann kommen die oberen Führungskräfte, die diese oben skizzierten Entwicklungen nicht nur mittragen und anstoßen, sondern auch mitgestalten müssen. Das Initiieren von Pilotprojekten bzw. zumindest das Kennenlernen von „Good Practice“-Beispielen ist erforderlich.
- Des Weiteren sehe ich Führungskräfte, deren Hauptaufgabe die Optimierung und Neuausrichtung der Prozesse und Dienstleistungen sein wird.
- Schließlich sehe ich noch Nachwuchsführungskräfte, die auf derartige Aufgaben vorbereitet werden müssen und
- schließlich MitarbeiterInnen, die schon beim Einstieg in das Unternehmen auf diese Entwicklungen eingestellt werden müssen. Eine kontinuierliche Information über den (zu erwartenden) Kulturwandel sowie die in naher Zukunft geplanten Änderungen kommt dazu.
Aus diesen Gründen heraus stellt sich für die Personalentwicklung die Aufgabe, verstärkt im Sinne der oben skizzierten Lösungsorientierung Unternehmensentwicklung zu betreiben.
Dieses Denken wird durch das demnächst erscheinende Buch unterstützt:
Paul Brandl, Irmtraud Ehrenmüller
pQMS extended: Neues Qualitätsmanagementsystem für die Langzeitpflege
prozessbasiert – erweiterbar – effizienzsteigernd
>> Weitere Infos und Bestellmöglichkeit
FH-Prof. Dr. Paul Brandl unterrichtet an der FH Oberösterreich Organisation, Qualitätsmanagement und Prozessmanagement. Er entwickelte mit dem prozessbasierten Qualitätsmanagement-Ansatz „pQMS extended“ ein neuartiges QM-System.