Ein Gastbeitrag von Jens Oertmann und Michael Stricker
Dieser Beitrag ist erschienen im Fachmagazin ZUKUNFTS-HANDBUCH Kindertageseinrichtungen, Ausgabe 3/2023. Walhalla Fachverlag, Regensburg. www.walhalla.de/kita.
Vorbemerkung
Sozialmanagement ist eine aus zwei Teilen bestehende Bezeichnung für ein handlungsorientiertes Konzept zur Führung von Institutionen. Der Begriffsteil Management kann als Grundwort verstanden werden. Es verweist im Sinne der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre auf eine Funktion, deren Hauptaufgabe die Planung und die Steuerung des Leistungsgeschehens in arbeitsteilig strukturierten Organisationen umfasst. Der Begriffsteil Sozial hingegen fungiert als eine Art Bestimmungswort. Er verbindet die Funktion des Managements mit Organisationen der Sozialen Arbeit und liefert damit eine Konkretisierung des Bezugsrahmens von Managementhandeln auf inhaltlicher Ebene (vgl. Schönig/Hoyer/Potratz 2018, S. 126). Durch diese Konkretisierung wird zum Ausdruck gebracht, dass sich klassische Methoden und Instrumente der Unternehmensführung an den Zielen und Produktionsbedingungen personenbezogener sozialer Dienstleistungen orientieren müssen. Neben klassischen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit, wie der Kinder- und Jugendhilfe, wird Sozialmanagement auch in Zusammenhang mit Einrichtungen des Gesundheitswesens, des Bildungssektors oder der öffentlichen Verwaltung thematisiert. Sämtliche Diskussionen haben bisher jedoch weder zu einer eigenständigen Theoriebildung noch zur Klärung der Frage geführt, in welchen disziplinären Zusammenhängen Sozialmanagement wissenschaftlich verortet werden sollte (vgl. Wöhrle 2018, S. 1560). Im Folgenden wird Sozialmanagement als Steuerungsfunktion in Organisationen der Sozialen Arbeit gefasst und davon ausgehend mit Blick auf Kindertageseinrichtungen problem- sowie aufgabenorientiert dargestellt. Im Mittelpunkt stehen dabei diejenigen Aspekte, die als charakteristische Voraussetzungen für das Leitungshandeln in Organisationen der Sozialen Arbeit im Allgemeinen und in Kindertageseinrichtungen im Speziellen erkannt werden können. Dazu zählen die Dominanz von Sachzielen, Finanzierung im Baukastensystem, Personalmanagement zwischen Haupt- und Ehrenamt, komplexes Stakeholder-Management sowie Leistungserbringung auf Basis nicht-schlüssiger Tauschbeziehungen.
1. Sachzieldominanz als Bedingung von Leitungshandeln
Als Teilbereich der Kinder- und Jugendhilfe sind Kindertageseinrichtungen im Rahmen eines doppelten Mandats tätig. Dem Willen des Gesetzgebers folgend erstellen sie im öffentlichen Auftrag soziale Dienstleistungen, die
- der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern zugutekommen;
- elterliche Bildungs- und Erziehungsarbeit unterstützen und ergänzen;
- auf eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hinwirken.
Dadurch leisten Kindertageseinrichtungen einerseits einen Beitrag zur Umsetzung sozialpolitischer Programme, in denen bestimmte Normdefinitionen und Kontrollbedürfnisse verarbeitet sind. Das bedeutet: Im Interventionshandeln der Fachkräfte zeigen sich immer auch Verweise darauf, welche Lebensweisen und Lebenslagen gemeinhin als (noch) akzeptabel oder wünschenswert erachtet werden. Nicht selten geht es dabei um Themen wie Ernährung, lebenspraktische Fähigkeiten oder Sozialverhalten. Andererseits verstehen sich Kindertageseinrichtungen als parteiliche Vertreter der Interessen von Kindern und Eltern. In dieser Rolle artikulieren sie vorgefundene Not- und Bedarfslagen gegenüber staatlichen Institutionen oder politisch verantwortlichen Kräften. Damit ist ein in der Praxis mitunter durch Ambivalenzen gekennzeichnetes Zielsystem errichtet, dessen Komplexität dadurch erhöht wird, dass sich Trägerorganisationen von Kindertageseinrichtungen in der Regel als gemeinwohlorientierte Akteure verstehen und mit ihren Dienstleistungen neben konkreter Hilfe im Einzelfall die Realisierung bestimmter Menschen- und Gesellschaftsbilder verbinden. Solche Bilder verarbeiten beispielsweise Ideen über demokratisches Zusammenleben, Gesundheit und Krankheit oder den Umgang mit begrenzten Ressourcen. Der Weg ihrer Umsetzung ist verbunden mit der Notwendigkeit, gemeinschaftlich geteilte Verhaltensweisen, Einstellungen und Zustände durch zweckgerichtete Maßnahmen derart zu verändern, dass sie dem angestrebten Ideal möglichst nah kommen. Entsprechende Vorstellungen sind dann in Organisationsleitsätzen beschrieben und dort als konstitutives Merkmal der Organisation und übergeordnete Zielperspektive ihrer Aktivitäten qualifiziert. Gedacht werden kann hier u. a. an kirchlich geprägte Einrichtungen, die Mittler und Makler von Werten wie Nächstenliebe, Partizipation oder Anerkennung von Vielfalt sein wollen. Der Konsum der Dienstleistung „Kindertagesbetreuung“ soll insofern nicht nur einen individuellen Nutzen stiften, sondern auch die Durchsetzung trägerspezifischer Vorstellungen zur Sicherung gesellschaftlichen Wohlergehens begünstigen.
Angesichts dessen ist festzuhalten, dass im Zielsystem von Kindertageseinrichtungen für gewöhnlich ideelle Zwecke im Vordergrund stehen. Ökonomische Ziele wie Gewinnmaximierung und Wachstum spielen eine untergeordnete Rolle. Sie dienen der Existenzsicherung und Investitionsfähigkeit, haben jedoch mit Blick auf die Frage nach der Definition von Organisationserfolg den Charakter einer Nebenbedingung, weshalb hier auch von Sachzieldominanz gesprochen wird (vgl. Löhe/Aldendorff 2022, S. 20 f.). Diese Sachzieldominanz übt einen starken Einfluss auf die Gestaltungspielräume von Einrichtungsleitungen aus. So sind Sachziele gemeinwohlorientierter Träger meist verbunden mit Aussagen darüber, welche Prinzipien für ihre Einrichtungen auf dem Weg zur Zielerreichung gelten sollen. Dadurch reduziert sich die Anzahl der zur Lösung von Problemen zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen und Entscheidungen werden bis zu einem gewissen Grad vorgezeichnet. In der Folge kann Leitungshandeln mit Spannungen verbunden sein, beispielsweise an Stellen, an denen identitätsstiftende pädagogische Ansätze in Konflikt geraten mit Überlegungen zur Frage, wie Betriebsabläufe angesichts sich ändernder Umweltanforderungen effizient(er) gestaltet werden können.
Ferner hat die Ausrichtung an Sachzielen zur Folge, dass die in profitorientierten Wirtschaftsunternehmen übliche Erfolgskontrolle über klassische betriebswirtschaftliche Kennzahlen keine hinreichenden Informationen zur Erreichung übergeordneter Organisationsziele liefert und daher auch keine eindeutigen Rückschlüsse auf den Nutzen der eingesetzte Personal- und Sachmittel ermöglicht. Dadurch zeigt sich auf allen Führungsebenen das Problem, dass quantifizierbare Variablen zur Erfolgserfassung zunächst nicht zur Verfügung stehen (vgl. Merchel 2015, S. 84). Auch die Beurteilung der Arbeitsergebnisse von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gerät unter diesen Umständen zur Herausforderung – insbesondere dann, wenn leistungsorientierte Vergütungsbestandteile vereinbart wurden. Das Problem kann überwunden werden, wenn es gelingt, Sachziele wie Nächstenliebe oder Partizipation als theoretische Konstrukte zu begreifen und im Rahmen von Qualitätsmanagement zu operationalisieren. Idealerweise sind am Ende dieses Prozesses messbare Indikatoren entwickelt, in denen sich die organisationseigenen Vorstellungen über den operationalisierten Gegenstand widerspiegeln (vgl. ebd., S. 85). Für die Steuerung solcher qualitativen Organisationsziele im Tagesgeschäft eignen sich vor allem Instrumente, die nicht ausschließlich auf Basis monetärer Größen konzipiert sind, z. B. die Balanced Scorecard (weiterführend zum Handlungsfeld Kindertageseinrichtung: Asmussen 2021).
2. Finanzierung im Baukastensystem
Kindertageseinrichtungen sind sowohl in privater als auch in öffentlicher Trägerschaft organisiert. Als typische Rechtsformen innerhalb der freien Wohlfahrtspflege gelten u. a. der eingetragene Verein, die Stiftung sowie die (gemeinnützige) Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Grundlegende Voraussetzung der Erstellung von Gütern und Dienstleistungen ist in allen Fällen das Vorhandensein von Ressourcen, die sowohl eine Vergütung der eingesetzten Produktionsfaktoren als auch fortlaufende Investitionstätigkeiten ermöglichen. Betrachtet man die typischen Finanzierungsstrategien der genannten Akteure und führt einen Vergleich mit Wirtschaftsunternehmen durch, dann fallen Unterschiede ins Auge. Wirtschaftsunternehmen generieren Ressourcen hauptsächlich über Kapitaleinlagen und den Verkauf ihrer Produkte an Zwischenhändler oder Endverbraucher (vgl. Merchel 2015, S. 83). Träger von Kindertageeinrichtungen hingegen greifen zur Sicherung ihrer Existenz regelmäßig auf mehrere Finanzierungsbausteine zurück. Zu diesen Bausteinen zählen
- öffentliche Fördermittel, die in Abhängigkeit von den jeweils gültigen Bestimmungen des Landesrechts und der kommunalen Situation vor Ort in ihrer Art (Pauschalförderung, zeitbasierte Subjektförderung, Gutscheinmodell, etc.) und Höhe variieren;
- Spenden;
- private Fördermittel, z. B. von der Aktion Mensch;
- Mitgliedsbeiträge, wenn es sich um einen Verein handelt.
Von Bedeutung ist, dass Förderungen der öffentlichen Hand als Zuschüsse zu verstehen sind und demnach keine Vollfinanzierung darstellen. Nicht-kommunale Träger haben deshalb prinzipiell mit einem Eigenanteil zu kalkulieren, den sie zur Deckung ihrer Kosten aufbringen müssen. Für rein privat-gewerbliche Anbieter, denen keine Steuermittel zufließen, gelten wiederum andere Spielregeln. Sie können mit Interessierten die Vergütung ihrer Dienstleistungen frei aushandeln.
Festzuhalten ist: Die ökonomische Steuerung von Kindertageseinrichtung ist angesichts der bundesweit uneinheitlichen Gesetzeslage und der Vielfalt denkbarer Finanzierungsbausteine mit der Anforderung verbunden, Stabilität und Liquidität sichernde Finanzierungsstrategien zu entwickeln. Gleichzeitig gilt es, Kompetenzen vorzuhalten, die eine qualifizierte Umsetzung der gewählten Finanzierungsform gewährleisten. Dazu gehören u. a. Kenntnisse über den Umgang mit Förderanträgen, zweckgebundenen Mitteln und Verwendungsnachweisen, die Kommunikation mit Spendern oder das Wissen um die vielfältige Logik von Entgeltsystemen der Sozialwirtschaft (vgl. ebd.).
3. Personalmanagement zwischen Haupt- und Ehrenamt
Einrichtungen und Dienste, die soziale Dienstleistungen erstellen, werden den sog. „front-line-organizations“ (Smith 1965) zugerechnet. Charakteristisch für Organisationen dieser Kategorie ist es, dass die Kernleistung an der Schnittstelle zwischen innerer und äußerer Organisationswelt erbracht wird und dort in der Regel einer direkten Beobachtung durch Führungskräfte entzogen ist (vgl. hier und im Folgenden: Gesmann/Merchel 2019, S. 69 ff.). Im Falle von Kindertageseinrichtungen gelangt die Kernleistung mangels Technisierbarkeit primär in Form von Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern bzw. zwischen Fachkräften und Eltern zum Ausdruck. Sie ist damit immateriell und wird im Moment ihrer Erstellung zugleich konsumiert (Uno-actu-Prinzip). Zudem ist die Dienstleistung nur begrenzt standardisierbar. Diese Merkmale sind für Leitungshandeln von Interesse, da sie darauf verweisen, dass über die Leistungsqualität im situativen Zusammenwirken der beteiligten Akteure entschieden wird. Daher ist das Personal in Kindertageseinrichtungen einerseits als zentrale Ressource im Prozess der Leistungserbringung zu begreifen. Andererseits sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch Produzenten organisationaler Unsicherheit, da die Konzentration auf Interaktionen mit fehlenden Möglichkeiten der Vorprogrammierung und der Vollzugskontrolle einhergeht. Leitung in Kindertageseinrichtungen ist aus diesem Grund verbunden mit der Anforderung, über indirekte Möglichkeiten der Qualitätssicherung nachzudenken. Solche Möglichkeiten werden sich für gewöhnlich auf die bewusste Gestaltung von Kontextbedingungen beziehen, vor allem auf Ebene des Personalmanagements in den Aufgabenbereichen Personalauswahl, Einarbeitung und Personalentwicklung.
Neben hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind in Kindertageseinrichtungen regelmäßig auch ehrenamtlich tätige Kräfte eingebunden. Diese Konstellation erhöht die Komplexität von Leitungshandeln, da Hauptamt und Ehrenamt unterschiedlichen, zum Teil auch gegenläufigen Handlungslogiken folgen. So gründet die Beziehung zwischen beruflich Beschäftigten und ihren Arbeitgebern auf einem Arbeitsvertrag und wird durch verschiedene Gesetze und Verordnungen gerahmt. Dadurch ergeben sich für beide Seiten Verbindlichkeiten, die wesentliche Wirkungen auf die Organisation ihres Zusammenwirkens entfalten, die jedoch nicht ohne Weiteres auf den Personenkreis der Ehrenamtlichen übertragbar sind – als Beispiel sei das Weisungsrecht des Arbeitgebers gegenüber Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern genannt. Gleichwohl gilt es auch im Austausch mit Ehrenamtlichen gegenseitige Erwartungen zu kommunizieren. Ein dabei häufig zum Einsatz kommendes Instrument ist die Ehrenamtsvereinbarung, in der Fragen wie die nach der Anwesenheit oder die nach dem Aufgabenumfang geklärt werden können. Unterschiedliche Logiken zeigen sich ferner dort, wo es um Motivation geht. Neben dem Interesse an einer sinnstiftenden Tätigkeit spielen hier für berufliche Beschäftigte monetäre Aspekte eine wichtige Rolle, geht es doch in Zusammenhang mit beruflicher Arbeit für gewöhnlich auch um die Sicherung des persönlichen Lebensunterhalts. Im Falle des Ehrenamts ist hingegen bekannt, dass finanzielle Anerkennungen nicht immer motivationssteigernd wirken, da meist das Bestreben „Gutes“ zu tun im Vordergrund steht. Bisweilen lassen sich vor diesem Hintergrund sogar demotivierende Effekte beobachten. Sie stellen sich ein, wenn Ehrenamtliche das Gefühl entwickeln, dass sie Teil einer Tauschbeziehung sind, im Rahmen derer ihr Aufwand nicht mit der gewünschten Dankbarkeit und Wertschätzung, sondern durch Geldzahlung abgegolten wird.
Angesichts dessen ist die Entwicklung von Konzepten der Personalsteuerung und der Ablauforganisation gefordert, welche die Logiken des Ehrenamts im Sinne eines möglichst konfliktfreien betrieblichen Miteinanders integrieren. Entsprechende Aktivitäten werden in der Praxis aller Wahrscheinlichkeit nach immer mit zusätzlichem Aufwand, das heißt auch mit dem Verzicht auf Effizienzgewinne verbunden sein. Dieser Verzicht kann jedoch als ertragversprechende Investition im Rahmen von Organisationsentwicklung gelten. Zusätzliche Angebote, fachfremde Kompetenzen sowie unverstellte Blicke auf tägliche Routinen beherbergen Chancen zur Steigerung der Leistungsqualität und der Sachzielerfüllung. Darüber hinaus wird angenommen, dass Ehrenamtliche im Falle der Mobilisierung ihrer privaten Kontakte eine Form von sozialem Kapital zur Verfügung stellen, das organisationsseitig beispielsweise auf der Ebene von Netzwerkarbeit in Zusammenhang mit Personalbeschaffung oder Spendenakquise eingesetzt werden kann.
Eine besondere Ausgangssituation für Einrichtungsleitungen ergibt sich schließlich, wenn die Trägerorganisation in der Rechtsform eines Vereins agiert. Dann ist nicht auszuschließen, dass die Adressatinnen und Adressaten ihrer Dienstleistungen auch als ehrenamtlich tätige Vereinsmitglieder auftreten und deshalb über Stimmrechte in der Mitgliederversammlung Einfluss auf wegweisende Entscheidungen zur Organisations- und Einrichtungsentwicklung ausüben können (vgl. hier und im Folgenden: Grunwald/Maelicke 2014, S. 803). Vereine, deren Wurzeln in der Selbsthilfe liegen, sind hier ein gutes Beispiel. Gedacht werden kann im Falle von Kindertageseinrichtungen an Elterninitiativen, die aufgrund fehlender Betreuungsplätze oder dem Interesse an einer bestimmten fachlichen Ausrichtung den Weg der Einrichtungsgründung beschreiten. Aus Sicht der hauptamtlichen Einrichtungsleitung entsteht aus einer solchen Konstellation heraus die Anforderung, sich an satzungsgemäß gefasste Beschlusslagen halten zu müssen – und zwar auch dann, wenn sie selbst andere Weichenstellungen als zielführender erachtet. Da jedoch zugleich die Erwartung besteht, die Existenz der Einrichtung abzusichern, muss Leitungshandeln bei Veränderungsnotwendigkeiten auf einen tragfähigen Ausgleich zwischen fachlichen Anforderungen und Mitgliederinteressen hinwirken. Problematisch ist, dass die Mehrzahl der Vereinsmitglieder in der Regel nicht über ausgeprägte Branchenkenntnisse verfügt und demnach auch nicht ohne Weiteres in der Lage ist, differenzierte Situationsbewertungen vorzunehmen. Eine frühzeitige Einbindung der Betroffenen sowie bedarfsadäquate Informationsversorgung können dabei helfen, Konflikte frühzeitig zu entschärfen. Dies gilt vor allem dann, wenn Ehrenamtliche der hauptamtlichen Einrichtungsleitung übergeordnete Führungs- oder Kontrollfunktionen ausüben – als Vereinsvorstand oder auch in einem Aufsichtsgremium.
4. Komplexes Stakeholder-Management
Damit Kindertageseinrichtungen ihrem öffentlichen Auftrag gerecht werden und ihre selbst gesteckten Ziele erreichen können, müssen sie die Interessen derjenigen Personen, Personengruppen oder Institutionen berücksichtigen, die von den Konsequenzen ihrer Aktivitäten betroffen sind. Dazu gehören u. a. Kinder, Eltern, Ehrenamtliche, Aufsichtsbehörden oder Menschen, die in unmittelbarer Nachbarschaft leben. In Zusammenhängen der Sozialen Arbeit werden diese Akteure bei der Entwicklung von Strategien zur Unternehmensführung regelmäßig als „Stakeholder“ (Anspruchsberechtigte) bezeichnet (vgl. Vogelbusch 2018, S. 21). Gemein ist allen: Ihre Interessen finden Ausdruck in Erwartungen, die sie an die Einrichtung und ihre Trägerorganisation richten und in Ansprüchen, die sie in Entscheidungen realisiert sehen möchten. Die Summe aller Erwartungen und Ansprüche ergibt jedoch selten ein harmonisches Gesamtbild. Für gewöhnlich wird man es mit einem Forderungskatalog zu tun haben, der sich durch Heterogenität, Widersprüchlichkeit und auch quer zu den eigenen Zielen liegenden Inhalten kennzeichnet (vgl. Wolf/Oertmann 2020, S. 1149 f.). Dies verweist auf die Notwendigkeit von Priorisierung im Rahmen eines systematischen Stakeholder-Managements.
Aufgabe des Leitungspersonals ist es daher, einen Überblick über die wichtigsten internen und externen Stakeholder mitsamt ihrer Machtoptionen zu erstellen, damit anschließend entschieden werden kann, welche Ansprüche Eingang im Einrichtungsverhalten finden sollen. Geht es um erwerbswirtschaftliche Unternehmen, dann besteht in diesem Zusammenhang die wesentliche Orientierung für Entscheidungshandeln zumeist darin, die Renditeerwartung von Unternehmenseigentümern auf ihre Kapitalanlagen zu befriedigen (vgl. Schellberg 2017, S. 106). Diese Orientierung am Eigentümernutzen hat für gewöhnlich auch dann Bestand, wenn das Unternehmen mit seinen Produkten einen Beitrag zur Steigerung des Allgemeinwohls verbindet. Praktisch nachvollziehen lässt sich das u. a. durch einen Blick auf Impfstoffhersteller, die den künftigen ökonomischen Nutzen ihrer Investitionen in Forschung und Entwicklung mithilfe des Patentrechts schützen. Die Feststellung und Integration von Stakeholder-Interessen ist in Kontexten der Sozialwirtschaft hingegen oft komplexer, was sich vor allem darauf zurückführen lässt, dass der im erwerbswirtschaftlichen Bereich gebräuchliche Kundenbegriff im Falle sozialer Dienstleistungen nicht ohne Weiteres mit Inhalt zu füllen ist.
Um eine Erklärung für dieses Phänomen zu erhalten, muss man sich zunächst vergegenwärtigen, dass soziale Dienstleistungen in der Regel nicht auf freien Märkten gehandelt, sondern durch die öffentliche Hand bereitgestellt und – zumindest in Teilen – finanziert werden. Dadurch entsteht im Rahmen der Leistungserbringung ein Dreiecksverhältnis zwischen Anbieterinnen und Anbietern, dem Staat und nachfragenden Akteuren, in dem die Nutzung und die Vergütung der Dienstleistung nicht oder nicht vollständig in einer Hand liegen. Solche nicht-schlüssigen Tauschbeziehungen werfen aus Sicht von Anbieterinnen und Anbietern das Problem auf, dass Leistungsziele und Leistungsqualität mit mehr als einer Partei zu verhandeln sind. Kindertageseinrichtungen und ihre Trägerorganisationen müssen deshalb an dieser Stelle mit unterschiedlichen Interessenslagen umgehen. Während Kinder und vor allem Eltern die Frage nach dem Gebrauchswert der Leistung meist davon abhängig machen werden, inwieweit diese zur Lösung ihrer persönlichen Probleme und der Gewinnung von Autonomie beitragen kann, verbindet die Öffentlichkeit als Mittelbereitstellerin mit Kinder- und Jugendhilfe (auch) die Regulierung von Lebensweisen entlang allgemein anerkannter Normen (vgl. Schaarschuch/Schnurr 2004, 313 f.). Dieser Zusammenhang wurde im Vorstehenden mit dem Verweis auf das Doppelmandat bereits angedeutet. Das Konfliktpotenzial dieser Konstellation wird beispielsweise dort deutlich, wo es in Kindertageseinrichtungen um Erziehungsfragen geht. Hier können Festlegungen auf Mittel und Wege, die als gut und richtig zu erachten sind, zwischen Eltern, dem Leistungsträger oder der Leistungsträgerin und Fachkräften deutlich voneinander abweichen. Dadurch entstehen Spannungsfelder, in denen sich die Einrichtung letztendlich bewegen muss, welche sie aber nie gänzlich auflösen kann, denn am Ende werden alle Beteiligten gebraucht, damit die Leistung zustande kommen kann. Man könnte auch sagen: Kindertagesbetreuung vollzieht sich im Modus der „Koproduktion“. Allzu einseitige Orientierungen stellen ein Risiko dar, denn soziale Dienstleistungen gelten als Vertrauensgüter.
5. Vertrauensarbeit in mindestens zwei Richtungen
Vertrauensgüter zeichnen sich in erster Linie durch ungleich verteilte Informationen zwischen den beteiligten Akteuren aus: Während Anbieterinnen und Anbieter aufgrund ihrer Expertise die eigene Leistungsfähigkeit für gewöhnlich gut einschätzen und im Vergleich zur Konkurrenz einordnen können, ist die nachfragende Seite an dieser Stelle Beschränkungen unterworfen. Ihr ist es aufgrund fehlenden Wissens weder vor noch nach dem Konsum der Dienstleistung möglich, hinreichend sichere Aussagen darüber zu treffen, ob das in Anspruch genommene Angebot zur bestmöglichen Problemlösung führt oder geführt hat (vgl. Finis Siegler 2019, S. 119 f.). Das gilt auch für den Bereich Kindertagesbetreuung. Denn die Qualität elementarpädagogischer Konzepte und Interventionen ist ohne die Mobilisierung von Fachkenntnissen kaum zu beurteilen. Vor diesem Hintergrund muss die Produktion sozialer Dienstleistungen aufgrund der sozialrechtlichen Dreiecksbeziehung einhergehen mit dem Aufbau von Vertrauen in mindestens zwei Richtungen: Gegenüber Adressatinnen und Adressaten und gegenüber öffentlichen Leistungsträgerinnen und Leistungsträgern. Im ersten Fall geht es um Vertrauen als Voraussetzung für Mitwirkungsbereitschaft im Leistungsgeschehen. Herausforderungen zeigen sich an dieser Stelle, wenn die Nachfrage nach der Dienstleistung nicht auf einem subjektiv empfundenen Mangel beruht, sondern durch Zwang begründet wird, beispielsweise im Rahmen eines verpflichtenden „Kita-Jahres“. Im zweiten Fall geht es um Vertrauen als Voraussetzung für die Bereitschaft zur Leistungsvergütung. Dabei ist das Problem zu überwinden, dass die öffentliche Hand während der Leistungserbringung in der Regel nicht vertreten ist (vgl. Pothmann/Schmidt 2022, S. 52). Sie kann die Qualität der Leistung folglich nicht beobachten und keine Einschätzung dazu treffen, ob sich die Einrichtung in ihrem Sinne verhält. Gleichzeitig muss sie den Einsatz ihrer Mittel, die Steuermittel sind, stets rechtfertigen können. Dieses Problem lässt sich aufgrund der Kontingenz von Interaktionen als Kern sozialer Dienstleistungen jedoch nicht gänzlich aus der Welt schaffen – auch nicht durch vertraglich vereinbarte Standardisierungen. Deshalb spielt die Qualität der Dokumentation und Kommunikation des Leistungsgeschehens eine zentrale Rolle, wenn es aufseiten der Einrichtung darum geht, zum Zwecke der Vertrauensbildung Transparenz, Reputation und Auftragstreue zu signalisieren. Hinsichtlich der Kinder und ihrer Eltern erscheint es demgegenüber als sinnvoll, formelle wie informelle Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Alltagsgestaltung in Einrichtungen zu realisieren. Hier können unter dem Aspekt der Partizipation auch Prozesse der Demokratiebildung eine Rolle spielen.
Fazit
Auch wenn auf Ebene der Theorie Fragen offengeblieben sind, ist die praktische Bedeutung von Sozialmanagement als eine die Merkmale Sozialer Arbeit im Allgemeinen und die Anforderungen an institutionelle Kindertagesbetreuung im Speziellen integrierende Steuerungsfunktion unbestritten. Die Komplexität der arbeitsteilig zu bewältigenden Aufgaben erfordert ein handlungsorientiertes Führungskonzept, damit angesichts zahlreicher Paradoxien und divergierenden Interessenslagen die Ziele von Organisationen und Einrichtungen erreicht werden können. Dazu sind sowohl Erkenntnisse der Betriebswirtschaftslehre als auch Wissen um die Strukturlogik öffentlich refinanzierter sozialer Dienstleistungen erforderlich. Darüber hinaus müssen stets strategisch relevante Themen im Blick behalten oder antizipiert werden. Aktuelle Beispiele sind hier die Digitalisierung von Angeboten und Arbeitsprozessen sowie der Umgang mit dem allerorts zu beobachtenden Fachkräftemangel.
Jens Oertmann M.A. studierte nach seiner Ausbildung zum Heilerziehungspfleger Soziale Arbeit sowie Sozialwissenschaften und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter. Er war langjährig in Kernbereichen Sozialer Arbeit tätig.
Michael Stricker ist Diplom-Kaufmann, Doktor der Staatswissenschaften und Inhaber einer Professur für Sozialmanagement. Er ist und war in führenden Funktionen der Wohlfahrtspflege (ehrenamtlich) tätig.
Beide sind am Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Bielefeld beschäftigt. Ihre Lehrtätigkeit bezieht sich auf die Studiengänge Soziale Arbeit und Pädagogik der Kindheit.
Verwendete Literatur:
Asmussen, S. (2021): Kitas leiten. Sozialmanagement mit der Balanced Scorecard. Weinheim/Basel: Beltz Juventa.
Finis Siegler, B. (2019): Ökonomik Sozialer Arbeit. Freiburg: Lambertus.
Gesmann, S./Merchel, J. (2019): Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit. Handbuch für Studium und Praxis. Heidelberg: Carl-Auer.
Grunwald, K./Maelicke, B. (2014): Grundlagen des Sozialmanagements. In: Arnold, U./Grunwald, K./Maelicke, B. (Hrsg.), Lehrbuch der Sozialwirtschaft (S. 791–809). Baden-Baden: Nomos.
Löhe, J./Aldendorff, P. (2022): Grundlagen zum Sozialmanagement. Zentrale Begriffe und Handlungsansätze. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Merchel, J. (2015): Management in Organisationen der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Pothmann, J./Schmidt, H. (2022): Soziale Arbeit – die Organisationen und Institutionen. Opladen/Toronto: Barbara Budrich.
Schaarschuch, A./Schnurr, S. (2004): Konflikte um Qualität. Konturen eines relationalen Qualitätsbegriffs. In: Beckmann, C./Otto, H.-U./Richter, M./Schrödter, M. (Hrsg.), Qualität in der Sozialen Arbeit. Zwischen Nutzerinteresse und Kostenkontrolle (S. 309–323). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Schellberg, K. (2017): Betriebswirtschaftslehre für Sozialunternehmen. BWL-Grundwissen für Studium, Fortbildung und Praxis. Regensburg: Walhalla.
Schönig, W./Hoyer, T./Potratz, A. (2018): Lehrbuch Ökonomie in der Sozialen Arbeit. Weinheim/Basel: Beltz Juventa.
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Vogelbusch, F. (2018): Management von Sozialunternehmen. Eine Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Abbildungen und Praxisbeispielen. München: Franz Vahlen.
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Wolf, B./Oertmann, J. (2020): Strategieinstrumente. In: Das Wirtschaftsstudium: wisu: Zeitschrift für Ausbildung, Prüfung, Berufseinstieg und Fortbildung, Heft 11, S. 1149–1151.