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Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Klaus Schellberg
Vor einiger Zeit lernte ich bei Sondierungsgesprächen zur Übergabe eines kommunalen Pflegeheims an einen Wohlfahrtsverband die verschiedenen Herangehensweisen der Wohlfahrtsverbände kennen.
Der Vertreter des einen Verbandes sorgte sich darum, ob das Pflegeheim solide weitergeführt werden könnte. Er fragte uns nach Kostenstrukturen, nach den verhandelten Entgelten, wie sich die Investitionskostensätze zusammensetzen und wie die Mietverträge gestaltet würden.
Der andere Vertreter fragte mich, ob das Gelände noch weitere Bebauung ermöglicht und ob ein Medizinisches Versorgungszentrum, ein ambulanter Dienst, eine Tagesstätte mit Café dort angesiedelt werden könnten, die dann im Verbund mit dem Pflegeheim ein „Senioren-Versorgungszentrum“ bilden könnten.
Red-Ocean-Strategie: Konzentration auf Kostenoptimierung
Die erste Herangehensweise stellt eine Ausrichtung auf die Optimierung des Pflegeheims und die Fortführung der 100 Plätze dar. Der konkrete Vertreter hat sich hier auf die Kostenoptimierung fokussiert; genauso wäre eine Konzentration auf die Qualitätsoptimierung möglich gewesen. Diese Denkweise geht davon aus, dass das Pflegeheim eben mit anderen Pflegeheimen konkurriert und sich hier graduell unterscheidet. Der Wettbewerb ist hart und schwierig – im Prinzip ist der Gewinn des einen der Verlust des anderen. Das Denken passiert „in der Box“ eines Pflegeheims. Die INSEAD-Professoren W. Chan Kim und Renée Mauborgne haben das als Red-Ocean-Strategie bezeichnet.
Demgegenüber steht die Blue-Ocean-Strategie, in unserem Fall das Konzept des „Senioren-Versorgungszentrums“ mit verschiedenen Angeboten an einem Standort. Die Senioren finden hier nicht nur ein Pflegeheim, sondern auch Ärzt*innen, eine Begegnungsstätte, eine ambulante Versorgung des Sozialraums – vielleicht hätte ich gleich noch eine KiTa mit angesiedelt, um nicht nur Senioren, sondern ganzen Familien ein Angebot zu machen.
Eine Blue-Ocean-Strategie baut auf ein innovatives Konzept. Das Leistungsangebot wird neu definiert – vom Pflegeheim zum Versorgungszentrum. Es werden Leistungen kombiniert, einzelne Bestandteile verstärkt (und andere weggelassen) und ein Mix von Leistungen verschiedener Sozialleistungsträger erreicht. Es kann so ein neuer Markt ohne relevanten Wettbewerb entstehen, eine (zumindest vorübergehende) Monopolsituation. Kostenmanagement und Qualität dürfen natürlich hier auch nicht vernachlässigt werden. Aber die Besonderheit, das Differenzierungsmerkmal, liegt in dem innovativen Leistungsangebot.
Blue-Ocean-Strategien auch in der Sozialwirtschaft möglich?
Blue-Ocean-Strategien konnten bereits in manchen Wirtschaftszweigen eingesetzt werden (Spielekonsole Wii, Yellow Tail Wine; Southwest Airlines). Könnte so etwas auch in der Sozialwirtschaft funktionieren? Nun, wir wissen noch nicht, welches Konzept aus dem Eingangsbeispiel zum Zug kommt und am Ende auch erfolgreich sein wird.
Doch ein paar Schlüsse können wir aus den Strukturen der Sozialmärkte ableiten: Blue-Ocean-Strategien orientieren sich oft an einer Neudefinition des Nutzens, des Wertes für den Kunden. Das ist für die Adressat*innen, die Menschen, an die sich die Leistung richtet, ein sehr wichtiges Kriterium. Hier führt die Zersplitterung von Leistungen, wie wir sie speziell in Deutschland vorfinden, oft zu Nachteilen. Insofern könnte im konkreten Fall ein Versorgungszentrum sicherlich Vorteile haben.
Andererseits müssen wir in der Sozialwirtschaft stets die Refinanzierung im Blick haben. Dabei gilt das Primat der sozialgesetzlich definierten Leistungen, die nicht so einfach umdefiniert werden können. Manchmal gelingen neue Kombinationen oder Ausprägungen über privat oder öffentlich finanzierte Modellprojekte oder über sehr innovative Sozialleistungsträger. Oftmals dürfte der Vorteil einer Blue-Ocean-Strategie in der Sozialwirtschaft eher in der Kombination verschiedener Sozialleistungen bestehen und den damit verbundenen organisatorischen und finanziellen Synergieeffekten.
Die große Herausforderung – aber auch die große Chance – der Blue-Ocean-Strategien ist, die Leistung konsequent von den Kund*innen her zu denken: Die Leistungen sind nicht das, was das Sozialunternehmen glaubt zu produzieren, sondern das, was die Kund*innen darin sehen.
Prof. Dr. Klaus Schellberg, Diplom-Kaufmann, ist Professor für Betriebswirtschaftslehre für Sozialunternehmen an der Evangelischen Hochschule Nürnberg und Studiengangsleiter im Masterstudiengang Sozialmanagement. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Finanzierung von Sozialunternehmen, Social Return on Investment und Wirkungsforschung. Neben seiner Hochschultätigkeit ist er Gesellschafter der xit GmbH forschung · planung · beratung. Prof. Dr. Schellberg ist Mitherausgeber der Blauen Reihe „Management Soziales & Gesundheit“.