Soziale Arbeit und Ökonomie bedingen einander und sind ohne Ethik nicht zu machen
Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Armin Schneider
Soziale Arbeit und Ökonomie scheinen zwei ganz unterschiedliche Welten zu sein, zum einen die Sorge um den Menschen in all seinen Bezügen, zum anderen der Umgang mit Knappheit und die Suche nach Gewinn. Gerade im Gesundheitswesen ist seit der Einführung von DRGs, den Budgets, den Standards eine so genannte Verbetriebswirtschaftlichung deutlich erkennbar. Es scheint in vielen Fällen so, dass das Gesundheitswesen hier Vorbild für andere Felder der Sozialen Arbeit sein soll. Denn auch dort geht es um Budgets, um Wirkungsorientierung, um erkennbare Ergebnisse. Die Frage, die sich hier wie dort stellt: Muss das so sein? Werden die Ergebnisse besser? Wie ist überhaupt die Wirkung der Wirkungsorientierung? Und schließlich: Wie kann die Profession und wissenschaftliche Disziplin Soziale Arbeit in diesem Kontext für ihre AdressatInnen wirken?
Aus der Sicht der Sozialen Arbeit ist gerade der Blick auf die soziale Dimension von Gesundheit von Bedeutung: Nicht erst die Weltgesundheitsorganisation WHO mit der Definition der Gesundheit als „ein Zustand vollständigen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens, der sich nicht nur durch die Abwesenheit von Krankheit oder Behinderung auszeichnet“, sondern auch die Geschichte der Gesundheitsfürsorge, mit der unrühmlichen Ausnahme und Diskreditierung im Nationalsozialismus, weisen auf die Bedeutung eines Feldes der Sozialen Arbeit hin, in dem „im engeren Sinne“ ca. 1/5 aller Beschäftigten der Sozialen Arbeit tätig sind. Wird der Zusammenhang zwischen dem Sozialen und der Gesundheit nicht nur im Gesundheitswesen und nicht nur in der Gesundheitsfürsorge gesehen, sondern in der Gesundheitsprävention gibt es kaum einen Bereich der Sozialen Arbeit, in dem die Verwobenheit zwischen sozialer Umgebung, Beziehungen, sozialen Grundlagen und der Gesundheit keine Rolle spielt.
Grundlagen der Sozialen Arbeit
Alle ganz unterschiedlichen Definitionen Sozialer Arbeit gehen davon aus, dass Soziale Arbeit auf den Grundlagen von Menschenrechte und Sozialer Gerechtigkeit basieren, auf einem Menschenbild, das allen Menschen fundamentale Rechte der gesellschaftlichen, politischen aber auch ökonomischen Teilhabe ermöglicht. Mehr und mehr geht es dabei um eine Rechtfertigung der Ausgaben Sozialer Arbeit und um ein Messen. Soziale Arbeit darf dieses Messen nicht anderen überlassen. Es gibt in der Historie und auch heute genügend positive Beispiele, wie Soziale Arbeit z.B. durch Beschreibung von Fällen die Komplexität und Zielgerichtetheit auch anderen deutlich und nachvollziehbar machen kann. Dazu bedarf es aber der Übersetzungsarbeit und der adäquaten Kommunikation in andere Teilsysteme der Gesellschaft hinein, in die Politik, in die Wirtschaft und in die Medien. Diese Systeme wirken nach anderen Logiken, bei der Politik geht es verkürzt gesagt und das Erhalten oder Behalten von Macht, in der Wirtschaft und Knappheit und Gewinn, in den Medien um Auflagen und Einschaltquoten.
Im Zusammenhang mit der Wirkung der Sozialen Arbeit ist oft von der „evidence based social work“ die Rede, die an einer „evidence based medicine“ Maß nimmt. Im angelsächsischen Raum wurde dieser Begriff eher mit randomisierten quantitativen Messverfahren gefüllt. Vergessen und in der deutschen Diskussion kaum erwähnt ist, dass sowohl in der Medizin als auch in anderen Disziplinen zunehmend auch andere Quellen der Evidenz wie z.B. qualitative Studien zu Rate gezogen werden. An dieser Stelle ist auf eigene Modelle der Sozialen Arbeit zu Beschreibung und Bewertung von Ergebnissen zu verweisen.
So lange sich die Soziale Arbeit als Opfer der Entwicklungen sieht, kann sie an dieser Stelle nicht gestaltend tätig werden. Soziale Arbeit muss eigene Messinstrumente entwickeln, um adäquat die Arbeit in ihrer Komplexität und ihre Wirkung darzustellen. Evaluation und Controlling sind hier nur zwei Stichworte.
Grundlagen der Ökonomie
Gegenseitige Vorurteile prägen das Verhältnis sowohl der Professionellen als auch der wissenschaftlichen Disziplinen im Umfeld von Sozialer Arbeit und Ökonomie. Dabei wird sehr oft vergessen, dass Soziale Arbeit an sich nicht gut und Ökonomie an sich nicht schlecht ist. Ohne Zweifel haben einige Arten der Sozialen Arbeit ebenso wie einige Arten der Ökonomie zu großen Schäden geführt, die nach neuen Antworten suchen. Die Grundlage der Ökonomie ist der Haushalt als Versorgungssystem, es geht um Bedürfnisse, Bedarfe und um den Umgang mit knappen Gütern. Die in den Vordergrund gerückte Markt- und Wettbewerbsorientierung ist nur eine von vielen möglichen Formen des Wirtschaftens mit Vor- und Nachteilen. Oft vergessen wird, dass die Ökonomie auch die Steuerung durch den Staat und die Steuerung durch die Philanthropie kennt und nicht nur als Ergänzung oder Feigenblatt. Grundlegend geht es in der Ökonomie darum, zu gesellschaftlich gewünschten Zuständen zu führen.
Es geht nicht darum, das Menschsein auf die Wirkung hin zu reduzieren, sondern es gilt auch die derzeitigen Grundannahmen des Wirtschaftens vor dem Hintergrund der Gesellschaft zu hinterfragen und auf die grundlegenden Werte der Gesellschaft neu zu entdecken. Dass die derzeitige Form unseres Wirtschaftens zu Verwerfungen nicht nur auf den Finanzmärkten führt, sondern auf Grund einer Wachstumsideologie die Spaltung zwischen Arm und Reich befördert, muss an dieser Stelle nicht eigens betont werden. Es gilt, wachsam zu sein und gerade im Gesundheitswesen und in der Sozialen Arbeit die für diese Bereiche kontraproduktiven Systeme einer inadäquaten Orientierung zu hinterfragen, aufzudecken und zurückzuweisen.
Vielfach sehe ich den tot geglaubten Taylorismus, die Zergliederung von Arbeitsabläufen in kleine Teile mit der Anmaßung es gäbe einen richtigen besten Weg, wieder erstarken. Soziale Arbeit lässt sich nicht industrialisieren und die für die Soziale Arbeit notwendige menschliche Beziehung erst recht nicht. Das heißt jedoch nicht, dass Soziale Arbeit von sich aus, auf eine Wirkung, auf Effekte und auf Berechnungen verzichten kann. Ganz im Gegenteil, es gilt allerdings hier „die Kirche im Dorf zu lassen“ und von der Sozialen Arbeit aus Instrumente zu entwickeln. Ein Controlling beispielsweise, auch das haben Ökonomen mittlerweile entdeckt, bedarf in Non-Profit-Organisationen eines anderen Wirkungsbegriffes als der reinen Effizienz. Neben dem Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag muss es um objektive, aber auch um subjektive und gesellschaftliche Wirkungen gehen. Und Wirkung muss immer auch von Nebeneffekten, Designeffekten und anderen externen Effekten unterschieden werden und zwar im Vergleich zu verschiedenen Zeitpunkten. Wird dies nicht gemacht, führt dies zu Verzerrungen: Dergestalt, dass gewünschte Wirkungen geschönt werden, nur noch Adressaten zu Programmen zugelassen werden, bei denen eine Wirkung von vornherein wahrscheinlich ist, dass Kennzahlen nicht die wesentlichen Effekte messen oder aber Grundwerte nicht mehr Grundlagen des sozialarbeiterischen Handelns sind, sondern eine vermeintlich betriebswirtschaftliche Kostenrationalität ohne Berücksichtigung etwaiger gesellschaftlicher Kosten. Es gibt berechtigte Kritik an der derzeit herrschenden Ökonomie, dazu bedarf es aber einer Auseinandersetzung mit dieser auf „gleicher Augenhöhe“ und mit dem nötigen Sachverstand. Ideologische Festlegungen sind hier kontraproduktiv.
Ethik im Kontext Sozialer Arbeit und Ökonomie
Ohne ethische Grundlage verkommen sowohl die Soziale Arbeit wie auch die Ökonomie. Beide Disziplinen und beide Professionen haben den Menschen im Blick und haben eine gesellschaftliche Aufgabe. Wobei die Ökonomie sich explizit um Werte kümmert. Es geht darum, von einer rein materiellen Orientierung weg zu kommen.
Neben einer eher auf der Makroebene der Gesellschaft und auf der Mikroebene angesiedelten Beobachtung und Beschreibung, gilt es in der Ethik, die Organisation als Mesoebene in den Blick zu nehmen und die Frage zu stellen, wie eine Ethik als Reflexion des Sittlichen hier wirken kann.
Soziale Arbeit und Ökonomie sind in eine Gesellschaft eingebunden, die Werthaltungen hat, beide müssen erkennbar machen, dass und wo sie diese beinhalten.
Gegenseitiger Nutzen von Ökonomie und Sozialer Arbeit
Einige Erkenntnisse der Ökonomie können der Wissenschaft Sozialer Arbeit nützlich und hilfreich sein können, dazu zählt sie z.B. die Saldenmechanik (die Summe der bewerteten Güter und Leistungen und der Einkommen entsprechen) und Arbeitsteilung. Systemeffekte sind ein weiterer Bereich: Eigennutz führt zu katastrophalen Systemergebnissen oder aber zu bestmöglichen Ergebnisse, ebenso wie altruistisches Verhalten beide Extreme einnehmen kann. Ungleichheiten gibt es am und durch den Markt, da nicht alle Marktteilnehmer die gleichen Informationen haben, aber auch durch demokratische Wahlen. Externe Effekte bedürfen der staatlichen Finanzierung Sozialer Arbeit und des Bildungssystems: Es gibt Bereiche, die nicht über Preise vermittelt werden können. Es gibt Marktversagen, Wirkungen staatlicher Eingriffe und auch die neue Institutionenökonomie hat ihre Bedeutung für die Soziale Arbeit (principle agent theory) und auch die Steuerung durch Wettbewerb oder Kameralistik hat ihre Bedeutung für die Soziale Arbeit.
Auf der anderen Seite kann die Ökonomik von der Sozialen Arbeit u.a. eine normative Orientierung, die Bedeutung nichtmarktlicher Bereiche, die Theorie der Bedürfnisse und individueller Entscheidungen sowie die Ausrichtung des Sozialstaates und der Sozialen Marktwirtschaft nutzen und in ihren eigenen Diskurs einbauen.
Um diese gegenseitigen Themen fruchtbar zu machen, bedarf es eines gemeinsamen Diskurses und einer gemeinsamen interdisziplinären Forschung, z.B. in den Bereichen der Begriffsverwendung und der Induktion und Deduktion, hier kann z.B. die Ökonomie sehr viel von einer qualitativen und quantitativen Forschung (deren Aussagekraft und Grenzen) lernen, die Soziale Arbeit von Rechenmodellen (deren Aussagekraft und Grenzen).
Die Kenntnis vom Menschen, seinen Bedürfnissen, von Organisationen und deren Wirken kann Soziale Arbeit ebenso in den Diskurs mit der Ökonomie einbringen wie die Kenntnis von einem auf den Menschen abgestimmten und nachhaltigen sozialen Managen. Letzteres führt ganz im Sinne des WHO-Begriffes zu einem gesundheitsförderlichen Arbeiten.
Prof. Dr. Armin Schneider hat die Professur für Management und Forschung an der Hochschule Koblenz inne. Zudem ist er Direktor des Instituts für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit|Rheinland-Pfalz (IBEB).