Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Armin Schneider
Wenn sich die Arbeit von Führungskräfte durch eine Menge an Entscheidungen auszeichnet und diese Entscheidungen zwangsläufig eine Zukunft betreffen, die unvorhersehbar ist, dann sind Fehler unvermeidlich. Dennoch wird in Unternehmen, öffentlichen Verwaltungen und Organisationen so getan, als seien Führungskräfte quasi sakrosankt und über jeden Fehler erhaben. Gerade eine aufrichtige Nutzung von Erkenntnissen auf Führungs- und anderen Fehlern kann aber eine hohe Wertschöpfung hervorrufen und die Reputation erhöhen.
In einer VUKA-Welt (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität), wie die derzeitige Gesellschaft vielerorts bezeichnet wird, ist eine Fülle der Entscheidungen, die tagtäglich getroffen wird, eine mehr oder weniger hohe Wette auf die Zukunft. Erweist sich der Ausbau eines Altenheims als gewinnbringend, ist eine Personalentscheidung richtig, kann die Umstrukturierung auf Dauer erfolgreich sein? Diese und andere Fragen lassen sich meist erst mit einem zeitlichen Abstand beurteilen, mehr noch: Je nach Zeit können die Antworten sogar unterschiedlich ausfallen. Offensichtliche und (eher) objektive Fehler zeigen sich im alltäglichen Handeln: Werden Gremien nicht beteiligt, Mitarbeiter falsch beurteilt, ist die Kommunikation unzureichend gelaufen, werden Charakterschwächen zu Belastungen? Ob und wie diese Handlungen zu Fehlern werden und aus welcher Perspektive sie als solche klassifiziert werden, kann nicht allgemeinverbindlich bewertet werden.
In technischen Bereichen, der Luft- und Raumfahrt, der Chemie und bei Kraftwerken sind Fehler, zumindest wenn sie zu schnellen Wirkungen führen, etwa einem Flugzeugabsturz oder der Verseuchung der Natur, sehr schnell erkennbar. Bei genauerem Hinsehen wird hier wie auch in anderen Bereichen deutlich, dass Fehler zur Vermehrung neigen. Oft sind es ganz kleine Fehler, die kaum Beachtung finden, die sich dann später als entscheidend herausstellen. Fehler können in persönlichen Entscheidungen, in der Form und Art der Organisation oder im Zusammenwirken von mehreren Personen liegen, manchmal weisen sie auch auf ein fehlerhaftes System hin. In einer öffentlichen Verwaltung zum Beispiel fällt der neuen Leitung auf, dass ein Mitarbeiter seit Jahren kaum etwas leistet und mit den kleinsten Aufgaben angeblich überfordert ist. Nach weiterer Recherche stellt sich heraus, dass jede Form der Kommunikation entweder ins Leere läuft oder aber dazu führt, dass sich der Mitarbeiter in einen Wutausbruch begibt. Es fällt schwer, die Mischung aus Demotivation, Unter- oder Überforderung und Außenseiterrolle nur einem Fehler zuzurechnen, der irgendwann einmal gemacht wurde. Die Aussage „am liebsten wäre uns, wenn diese Person weg wäre“ zeigt nicht nur, dass eine ganze Abteilung leidet, sondern auch, dass eine Art Sündenbockmechanismus einsetzt. Eine Lösung für einen solchen Personalfall wird an mehreren Stellen und in mehreren Dimensionen anzusetzen sein. Auch wäre es falsch und ein weiterer Fehler, in einer solchen Situation nicht zu handeln und damit die vielseitige Belastung weiter zu verlängern.
Fehler und insbesondere Führungsfehler kosten eine jede Organisation Geld, Zeit und andere Ressourcen, daher kann durch Vermeidung und Lernen aus Fehlern viel eingespart werden. Dazu gehört zunächst das Aufspüren und Entdecken der Führungsfehler. Nur wenn eine Organisation sich dem stellt und Fehler (es sei denn, es handelt sich um offensichtliche Straftaten) zulässt und darüber ohne Scham und Tabu redet, kann ein Fehler gesehen werden. Es kommt also auch hier auf eine Kultur an, die weder durch eine Nullfehlerpolitik noch durch eine Fehlerfreundlichkeit fehlerfixiert ist, sondern Fehler als das nimmt, was sie sind: Im Nachhinein sich herausstellende Ergebnisse von falschen Einschätzungen. Wenn mit Fehlern in dieser Weise umgegangen wird, kann auch im zweiten Schritt eine genauere Analyse auch der Geschichte, der Begleitumständen und der Voraussetzungen für den Führungsfehler gesucht werden. An diese Phase sollte sich dann die Phase anschließen, die nach Lösungen sucht, wie ein solcher Fehler zum einen mit Blick auf die Vergangenheit geheilt, mit Blick auf die Zukunft vermieden werden kann. Erst danach sollten dann Vereinbarungen getroffen und Lernerfolge benannt werden. Bei allen Schritten ist zu überlegen, wer wie in die Fehlerentstehung und -bewältigung involviert ist und welche Perspektiven zu betrachten sind. Selten werden dabei reine Schwarz-Weiß-Lösungen gefunden werden, hilfreich ist daher auch das Reden von Hypothesen im Sinne von Annahmen, deren Richtigkeit erst noch zu überprüfen ist. Urteile und Feststellungen sind (zumindest am Anfang der Auseinandersetzung mit Fehlern) wenig zielführend.
In erster Linie mag die Führungskraft für ihren Fehler verantwortlich sein, involviert sind jedoch meist mehrere Personen und Personengruppen: Mitarbeiter, Vorgesetzte der Führungskräfte, Kunden, Lieferanten und sonstige Anspruchsgruppen. Je mehr Personen in einen Führungsfehler verstrickt sind, umso mehr müssen auch bei der Aufarbeitung einbezogen werden. Macht und Ohnmacht sind dabei selten objektiv einer Person zuzurechnen, sondern eher durch eine momentane Perspektive gekennzeichnet: Mitarbeiter mögen sich gegenüber einer autoritär handelnden Führungsperson ohnmächtig fühlen, sie haben aber zumindest im Kollektiv die Macht, etwas nicht zu tun. Auch Führungskräfte mögen zwischen Personal und Vorstand „zwischen zwei Stühlen“ verloren scheinen, können aber ihre Gestaltungsmacht nutzen, um ihren Spielraum zu vergrößern. Vorstandsmitglieder können ebenso ihre Position als mächtig oder ohnmächtig definieren. Dennoch: Die Freiheit des Handelns des Einzelnen ist immer gegeben, auch wenn im Extremfall das Handeln Kündigung heißen kann. Sachzwänge oder alternativlose Entscheidungen verdecken dahinterliegende Entscheidungen.
Für die Behandlung oder Aufarbeitung von Führungsfehlern hat sich neben den oben genannten Schritten bewährt, systematisch folgenden Fragen nachzugehen:
- Welche Phänomene sind zu beobachten, worin genau zeigt sich der Fehler, zeigen sich die Auswirkungen des Fehlers?
- Wie genau ist es zu dem Fehler gekommen? Welche z.B. sozialen oder auch psychologischen oder kommunikativen Zusammenhänge, Ursachenhypothesen gibt es?
- Wie kann der Fehler überwunden, korrigiert und für die Zukunft vermieden werden?
- Welche (auch positive!) Rolle spielt (vor allem ein lange schwelender und nicht überwundener Fehler für das System der Organisation oder der Organisationseinheit?
- Welche Lern- und Handlungsmöglichkeiten gibt es aus der Perspektive und für die Führungskraft?
- Welche Lern- und Handlungsmöglichkeiten gibt es aus der Perspektive und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
- Welche Lern- und Handlungsmöglichkeiten gibt es aus der Perspektive und für die Organisation und die Organisationseinheit?
- Welche Lern- und Handlungsmöglichkeiten gibt es aus der Perspektive und für die Vorgesetzten der Führungskraft?
Aus den oben stehenden Fragen lässt sich erkennen, dass Fehler immer in eine Organisation und die dortigen Zusammenhänge eingebunden sind.
Einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf die Perspektive der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die oft am dichtesten an den Führungsfehlern „dran“ sind und den Fehler dadurch zuerst erkennen. Herrscht hier Angst, den Fehler zu besprechen, ist dies schon ein erster Hinweis auf die Unternehmenskultur, die in diesem Fall wohl eher weniger lernbereit zu sein scheint. Für das Ansprechen von Fehlern in einem Vorgesetzten-Mitarbeiter-Verhältnis ist, wie bei anderen Gesprächen auch, eine Strategie von Vorteil: In einer aufgeheizten Stimmung mit einer hohen emotionalen Betroffenheit bzw. Befangenheit scheint das Ansprechen weniger zielführend zu sein als in einer entspannten Stimmung. Die Art und Weise einer solchen Rückmeldung sollte auch wohlüberlegt sein, geht es doch eher um eine wertschätzende Rückmeldung als um ein abschätziges Urteil, daher gilt auch hier die Trennung des Verhaltens der Person von der Person als solches. Schließlich sollte überlegt werden, gerade in schwierigeren Fällen, wer den besten Bezug zur Führungskraft hat und offen und zielführend mit der Person sprechen kann. Notwendig ist immer eine Haltung des Vertrauens und der Wertschätzung. Beides bedarf der Übung. Schließlich kann sich mit einer offenen Aufarbeitung von Fehlern zum Nutzen aller Beteiligten auch ein Vertrauen (wieder) herstellen und dadurch zu einem besseren Betriebsklima beitragen.
Je stärker Fehler jedoch tabuisiert werden, umso schwieriger wird das Lernen aus Fehlern, auf der anderen Seite ist es aber gerade dann am nötigsten. Wenn Führungskräfte zu sehr „abheben“, dann hat dies in aller Regel mit einer mangelnden Aufsicht zu tun bzw. mit dem Führungsverhalten der Vorgesetzten der Führungskraft.
Wie agil, digital und modern Führung auch sein mag: Hinter Entscheidungen und Fehlern stehen immer Menschen, die es menschlich zu behandeln gilt.
Literaturtipp zum Thema Führungsfehler:
Schneider, Armin (2017). Aus Führungsfehlern lernen. Regensburg: Walhalla.