Dieser Text des Autorenteams Bettina Wächter und Alois Pölzl stammt aus dem im April 2019 erschienenen Fachbuch Digitale (R)Evolution in Sozialen Unternehmen.
Das Thema Digitalisierung ist in aller Munde. Kaum ein Kongress oder eine Fachtagung, die nicht ohne dieses Thema auskommt. Aber was ist Digitalisierung eigentlich und was hat sie mit unserer Arbeit in sozialen Organisationen zu tun? Auch wir hatten zu Beginn des Digitalisierungsprojekts in unserem Arbeitsbereich (B7 Arbeit und Leben) mehr Fragen als Antworten. Zur Reduktion der Komplexität haben wir
- die Digitalisierung in vier Welten bzw. Sichten (1) und
- die vielfältigen Anwendungen der digitalen Welt in verschiedene Schichten (2)
unterteilt. Diese Modelle möchten wir im folgenden erläutern:
(1) Vier-Sichten-Modell
Gehen wir auf die Bedenken ein, dass Digitalisierung die gesamte Organisation auf den Kopf stellen könnte. Friedrich Glasl unterscheidet bei Veränderungen den Anlass und die Tiefe der Veränderung. Diese können von adaptiven Anpassungen wie Wachstum, Verkleinerung, Einführung einer neuen Technologie oder Verbesserung eines Arbeitsprozesses bis hin zu entwicklungsorientierten Umgestaltungen und Erneuerungen, die das ganze System Non-Profit-Organisation betreffen, reichen.[1] Demnach kann die Digitalisierung, abhängig von den angestrebten Veränderungen eine adaptive Anpassung sein, oder zu einer vollständigen Erneuerung des ganzen Systems einer Organisation führen. Deshalb ist es naheliegend, die geplanten Schritte in Teilbereiche zu unterteilen.
Der Versuch einer Ordnung ergibt vier zentrale Gruppen von Themen:
Der Vorteil in der Unterteilung in diese vier Sichten ist die Einfachheit, die man als Organisation in der Auseinandersetzung mit dem Thema Digitalisierung gewinnt. Auch ist dieses Modell unabhängig von den Handlungsfeldern und Kernkompetenzen des Sozialen Unternehmens zu sehen. Egal ob Beratungseinrichtung im Arbeitsmarktkontext, in der Jugendwohlfahrt, in der Entwicklungshilfe, im Altenheim, in der Flüchtlingshilfe oder als Umweltorganisation – alle vier Felder werden in jeder Organisation durch die Digitalisierung erfasst bzw. können damit auch bewusst gesteuert werden.
Die einzelnen Themenbereiche stellen gleichzeitig abgrenzbare Handlungsräume dar. Jede Sicht hat dabei ihre Schwerpunkte und ihre Ausrichtung. Gleichzeitig entstehen dadurch für die anderen Sichten Anknüpfungspunkte, die für ein weiteres Handeln genutzt werden können.
Nachfolgend werden die Fragestellungen innerhalb dieser vier Themenbereiche genauer erläutert:
Kundinnen und Kunden, Klient*innen
Als Kundinnen und Kunden bezeichnen wir jene Menschen, die von Einrichtungen der Sozialwirtschaft betreut, beraten oder in anderer Weise unterstützt werden.
Kundinnen und Kunden sind in der Sozialwirtschaft nicht immer jene, die den Auftrag zu Aktivitäten geben oder die erbrachten Leistungen unmittelbar bezahlen. Daher verwenden wir, je nach Zusammenhang, immer wieder auch den Klientinnenbegriff. Eine scharfe Trennung der Begriffe erscheint uns an dieser Stelle aber weder möglich noch nötig. Wir regen dazu an, auf dem Hintergrund der Digitalisierung diese Begriffe zu überdenken und die tiefgreifenden Veränderungen neu zu reflektieren, die sich durch die massenhafte und zugleich individuelle Einbindung der Nutzer als Datenlieferanten und Produzenten von digitalen Inhalten ergeben.
Digitalisierung betrifft Kundinnen und Kunden der Sozialwirtschaft zuerst einmal dadurch, dass ihre Daten digital erfasst und verarbeitet werden. Diese Daten können in weiterer Folge zur Einschätzung ihres Betreuungsbedarfs eingesetzt werden. Sie dienen unter Umständen zur Weiterverarbeitung in einer umfangreichen Datenbank, die für weitere wissenschaftliche Erkenntnisse genutzt werden – vor allem im medizinischen Bereich.
Die Erhebung der Kundendaten sowie die Anforderung der Leistung kann digital erfolgen, wie die Anmeldung zu einem Termin oder der Antrag auf eine Leistung per online-Formular oder Bildschirm in der Behörde. Kundendaten könnten weiterverarbeitet und weitreichende Folgen für deren Zugang zu sozialstaatlichen Leistungen haben.
Zum Blick auf die Kundinnen gehört auch die Unterscheidung, wie unterschiedlich gut qualifiziert sie im Umgang mit digitalen Geräten sind. Viele benutzen Smartphones und andere Geräte im Alltag und können einfache, digitalisierte Aufgaben auch in anderen Zusammenhängen lösen. Dennoch darf nicht unterschätzt werden, wie schwierig es ihnen fallen kann, im digitalen Umgang mit Behörden und Institutionen korrekt vorzugehen ohne sich einen Nachteil zu verschaffen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen, z. B. älterer Personen oder Personen mit geringem Bildungsabschluss, von der digitalen Kommunikation ausgeschlossen sein können.
Produkte und Leistungen (Angebot)
Unter dem Begriffspaar „Produkte und Leistungen“ wird in diesem Kontext alles verstanden, was Output einer sozialen Einrichtung sein kann: Beratung, Unterstützung, Vertretung, pädagogische Arbeit, Pflege, Zuerkennung von Geldleistungen durch Sozialbehörden und vieles mehr.
Die Form der angebotenen Leistungserbringung kann wenig, stark oder vollständig in digitaler Form erfolgen, bis hin zu Robotern die die Leistung „maschinell“ erbringen. Das reicht von der online-Beratung mit physischen Berater/innen über die Zustellung eines Bescheides bis zur Beratung durch eine digitale Maschine, einen Bot, den man nicht ohne weiteres von einem/-r menschlichen Berater/-in unterscheiden kann. In der Pflege und im Operationssaal sind weltweit bereits Roboter mit Erfolg im Einsatz – als Beispiel seien nur das Da Vinci Operationssystem oder der OP-Roboter CASPAR genannt; in Japan werden bereits seit Jahren Pflegeroboter eingesetzt, in Deutschland begegnet einem der Pflegeroboter „Pepper“ auf nahezu jeder Alten- und Pflegemesse.
Soziale Organisationen haben begonnen, nicht nur ihre internen Prozesse zu digitalisieren, sondern auch neue Produkte und Leistungen zu entwickeln, die verstärkt digital angereichert sind oder überhaupt auf digitaler Basis erbracht werden. Und auch die Fördergeber beginnen damit, solche Produkte und Leistungen nachzufragen. Onlineberatung ist inzwischen in vielen Bereichen anzutreffen – wie z. B. von der deutschen Caritas, von Frauenberatungseinrichtungen, von der österreichischen Telefonseelsorge und auch von mehreren Selbsthilfeorganisationen. Die Stadt Wien führt auf ihrer Homepage www.wien.gv.at unter dem Stichwort „Onlineberatung“ mehr als 30 Angebote auf.
Besonders interessant sind Angebote, die mehrere digitale Kanäle parallel anbieten, um die Schwelle zur Kontaktaufnahme möglichst niedrig zu halten: Onlineberatung (asynchron), Chatberatung (synchron), Telefonberatung und die gleichzeitig eine einfach zu bedienende Sammlung von Themenblöcken bereithalten, die für die Zielgruppe von Interesse sind (z. B. www.rataufdraht.at [2] oder „Die dargebotenen Hand“ in der Schweiz: www.143.ch [3]); das deutsche Beratungsnetz bietet auch moderierte Gruppenchats).
Für Fallanalysen gibt es bereits softwarebasierte Verfahren zur Einschätzung der Arbeitsmarktchancen[4], des Kindeswohls oder zur Rückfallgefährdung von Straftäter/innen[5].
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind von den digitalen Veränderungen auf mehreren Ebenen betroffen. So werden zum Beispiel ihre Dienstzeiten und inzwischen auch ihre Reisebewegungen digital erfasst, abgerechnet und in der Praxis vielfach auch schon ausgewertet. In der ambulanten Pflege ist die Wegführung via GPS bereits Alltag. Mit den rechtlichen Regelungen dazu ist die Arbeitnehmervertretung (Betriebsrat, Personalrat, Mitarbeitervertretung) befasst – wenn vorhanden. Auch diese muss sich das erforderliche Know-how, das neben rechtlichem auch technisches Wissen umfasst, erwerben.
Wird auch noch die Form der Leistungserbringung digital erfasst, ergeben sich neue Schnittstellen zu den Datenschutzrechten der Kundinnen und Kunden. Belehrung und Dokumentation zu den Datenschutzrechten nehmen Arbeitszeit in Anspruch und bilden eine Herausforderung in der Abgrenzung jenes Raums, der in Beratungssituation unbedingte Vertraulichkeit erfordert. Die Fachkräfte müssen mit zunehmender Sensibilität in der Datenerfassung vorgehen, da die Weiterverwendung der Daten in anderen als den aktuellen Zusammenhängen nicht überschaubar ist. Einträge in einer Datenbank können – unter bestimmten Voraussetzungen – auch von anderen Behörden eingesehen werden und dort zu unerwarteten Konsequenzen für Klientinnen und Klienten aber auch für die Berater führen. Beispiele sind etwa die Schnittstelle zwischen Arbeitsmarktverwaltung und Sozialbehörde oder Fremden-/Ausländerbehörde. Doch genauso gut könnte auch eine Förderstelle anfangen, Leistungsparameter der Einrichtung auszulesen oder sich zu errechnen.
Dort wo sich die erbrachten Produkte und Leistungen ändern, führt das auch für die Mitarbeiter zu maßgebliche Veränderungen. In den Verwaltungsabteilungen sind schon viele Stellen durch die Digitalisierung weggefallen und die verbleibenden Mitarbeiterinnen müssen sich immer rascher auf den Wandel einstellen, Fortbildungen absolvieren und neue Formen der Kommunikation anwenden.
Damit Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit Digitalisierung umgehen können, benötigen sie digitale Kompetenzen.
Organisation und Prozesse
Innerhalb der Organisation findet Digitalisierung selbst auch Anwendung. In dieser Sichtweise betrachten wir z. B. wiederholende Prozesse, Freigabeverfahren o.ä., die sich in IT-unterstützten Prozessen etablieren lassen, um für eine transparentere, einfachere und durchgängige Abwicklung zu sorgen. Digitale Elemente können beispielsweise in der Datenverwaltung und Personalverwaltung einschließlich der Dokumentation von Dienstzeiten und Betreuungszeiten eingesetzt werden; im Pflegebereich sind insbesondere die verpflichtenden Dokumentationsarbeiten zu nennen.
Die Autoren gehen davon aus, dass diese Sicht in Sozialen Unternehmen am weitesten fortgeschritten ist.
Zu dieser Sicht gehört auch das Thema der digitalen Innovation. Wie schafft man, Bestehendes hinsichtlich Digitalisierung zu optimieren? Gerne werden bestehende, analoge Prozesse digital nachgebaut. Dies ist jedoch per se keine digitale Innovation. „Wenn Sie einen Scheiß-Prozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.“ Diese wahren, wenn auch deftigen Worte stammen von Jost Gloor vom Pharmaunternehmen Vifor Pharma, der auf den Social Recruiting Days 2016 über Bewerbungsprozesse in deutschen Unternehmen sprach.[6]
Doch die Digitalisierung bringt das Potenzial mit, bestehende Prozesse zu überdenken und mit digitalen Mitteln neue – bessere – Wege zu gehen. Digitales betont den Zugang der Kunden und Mitarbeiterinnen zur Lösung. Im Bereich „Dienstleistungsentwicklung“ etwa steht dabei nicht mehr die Ressourcenfrage im Mittelpunkt; Ausgangspunkt ist (oder sollte sein) das Problem eines Kunden bzw. einer Kundin. Innerhalb der Organisation kann Digitalisierung die Problematik „Vereinbarung von Familie und Beruf“ durch Homeoffice-Zeiten günstig beeinflussen.
Einbindung des Sozialen Unternehmens
Der eben vorgestellte Rahmen ist der Versuch einer vereinfachten Darstellung, wo Digitalisierung ansetzen kann. Durch diese Sicht wird der Blick auf wirksame Maßnahmen ermöglicht, weil dadurch die eigenen Themenfelder im Fokus bleiben. Viel zu leicht verliert man in der digitalisierten Welt den Überblick über die Themen, die den Kern der eigenen Organisation betreffen. Doch lässt die Unterteilung in die vier Sichten bewusst ein paar Fragen offen.
Denn nicht nur die innere Sicht ist eine bedeutsame Voraussetzung für Digitalisierung. Diese findet darüber hinaus sowohl räumlich, als auch sachlich statt. Sachlich bedeutet an dieser Stelle – betriebswirtschaftlich betrachtet – die Nutzung von Digitalisierung zur Leistungserbringung in den Prozessen. Die sachliche Orientierung ist daher im Vier-Sichten-Modell zu finden: Die Nutzung von Digitalisierung, um den Kundinnen und Kunden digitalisierte (Dienst-)leistungen anzubieten, die von digital kompetenten Mitarbeitern in einer digital unterstützen Arbeitsumgebung ausgeführt werden.
Die Betrachtung von räumlichen Voraussetzungen, im Vier-Sichten-Modell Systempartner genannt, sollte auch versucht werden, da die ursprüngliche Definition anhand von Ländergrenzen in Zeiten von Internet nicht mehr ausreicht. Das Internet ist global und endet nicht an Bezirks-, Länder-, Staats- oder Fördergrenzen.
Organisationen der Sozialwirtschaft sind meist stark vernetzt tätig. Um für Kundinnen und Kunden die bestmögliche Leistung erbringen zu können bedarf es, abhängig vom Tätigkeitsfeld, zumeist eines vernetzten, fachlichen Ansatzes (siehe z. B. Case Management). In Überlegungen zur Digitalisierung müssen daher auch räumliche Aspekte einbezogen werden. Dabei können folgende Fragestellungen hilfreich sein:
- Wo befindet sich eine Organisation? Welche Nachbarn gibt es?
Es macht einen Unterschied, ob eine Organisation z. B. in einer ländlichen Gegend angesiedelt ist oder in städtischen Gebieten. Die Bedürfnisse von anderen Mietern eines Areals oder Gebäudes sowie die Möglichkeiten der Infrastruktur (z. B. Verfügbarkeit der Internetbandbreite), die Nähe zu einer (fachliche verwandten) Hochschule oder die Nachbarschaft zu einem IT-Unternehmen können für Impulse zur Digitalisierung sorgen. Der Blick über den Tellerrand muss nicht immer proaktiv geschehen. - Wie ist die Organisation vernetzt oder eingebettet?
Wohlfahrtsverbände, Interessensgemeinschaften und -vertretungen, Fachverbände, Berufsvereinigungen, sowie die Vernetzung mit den Leistungsermöglichern ist ebenfalls ein Anstoß für die Digitalisierung. - Wie werden Informationen und Entwicklungen antizipiert?
Zuletzt bleibt noch eine weitere, wichtige Quelle für Möglichkeiten der Digitalisierung. Auf welchem Weg und wie können Informationen, die bei der Digitalisierung hilfreich sind, in die Organisation gelangen, sodass diese Informationen genutzt werden können?
(2) Schichten der digitalen Anwendungen
Was die Digitalisierung leisten kann, wird von jeder Organisation selbst definiert. In der Wirtschaft ist Digitalisierung das Schlüsselwort bei der Transformation der Wertschöpfung. Geschäftsmodelle, Produkte oder Services sowie ganze Prozessen oder Teilprozesse werden digitalisiert. Dies bedeutet jedoch nicht zwingenderweise Vollautomatisierung von Prozessen ohne jeglichen menschlichen Eingriff. So kann z. B. ein Programm, das einen Prozess steuert, bei entsprechender Notwendigkeit Aktionen setzt, wofür der Menschen notwendig ist oder von cyberphysische Systemen ausgeführt werden.[7]
Die etablierten Modelle der Darstellung und Beschreibung von Anwendungsarchitekturen gingen den Autoren zu weit in die IT-Sicht und erwiesen sich im Berufsalltag in der Sozialwirtschaft, im Speziellen für die Kommunikation mit beteiligten Akteuren als zu wenig prägnant. Projektleitern für IT- und Anwendungsprojekte in der Sozialwirtschaft werden der Aussage zustimmen, dass sie zum Projekterfolg wesentlich beitragen, wenn sie Fachkräften die technischen Fakten und Nebeneffekte verdeutlichen und transparent machen können. Die Reduktion von technischen Daten auf das, was bei der Arbeit mit Kundinnen und Kunden sichtbar bleibt, reduziert Widerstände und erleichtert die Umsetzung.
Die Autoren unterteilen die vielfältigen Anwendungen der digitalen Welt in verschiedene Schichten. Für jede Schicht sind für sich eigene Merkmale definierbar. Der Reifegrad der digitalen Anwendungen und die Kompetenzen der Mitarbeiterschaft steigen mit der Tiefe der Schichten.
Die im Folgenden kurz beschriebenen Anwendungselemente lassen sich unterschiedlich verbinden und zu nützlichen Dingen für Alltag und Beruf zusammenstellen, z. B. am Smartphone oder im intelligenten Haus/Auto bis hin zur Landvermessung oder im Operationssaal.
Diese Schichten sind aber in sich nicht immer eindeutig abgrenzbar. So kann beispielsweise ein Industrieroboter auch ohne Künstliche Intelligenz arbeiten, oder ein Flugsimulator eben mit einer Künstlichen Intelligenz sich dem Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe anpassen. Die Abbildung “Schichten digitaler Anwendungen” soll daher beispielhaft einen Überblick über die Schichten zur Orientierung geben; sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Einfache Datenverarbeitung: Daten sammeln und verarbeiten
Wer kennt noch die Buchführung vor dem digitalen Zeitalter? Es heißt Buchführung, weil in Büchern alle Ein- und Ausgänge (analog) festgehalten wurden. Auswertungen und Statistiken wie wir sie heute kennen, waren mit unglaublichem Aufwand verbunden, die Kontrollmechanismen waren im Vergleich zu heute wenig umfangreich. Für viele kaum mehr vorstellbar, doch die erste Schicht der Digitalisierung setzt genau dort an: Wenn Daten nicht mehr analog verwaltet, sondern in Systemen abgespeichert und verwendet werden.
Dazu zählen viele einfache Datenverarbeitungsprogramme und nicht vernetzte Systeme. Diese sind heute schon schwer zu finden, da sehr viele dieser Programme und Systeme mit dem Internet, Cloud-Diensten oder in Remote Zugriffsystemen vernetzt sind.
Wer könnte sich heute noch vorstellen, mit Klienten mittels Briefen zu kommunizieren? Brief schreiben, frankieren, absenden, die Post ihre Aufgabe machen lassen, Brief entgegen nehmen und darauf antworten – das alles dauerte mehrere Tage. E-Mails brauchen vergleichsweise minimale Zeit, Antworten sind binnen Sekunden möglich. Das Tempo der Abwicklung erhöht sich.
Mit der Summe der Daten, die verarbeitet werden, steigt mit den Möglichkeiten der Eingabe und der Speicherkapazität. Nun sind die Daten digital und die Übermittlung beschleunigt. Weitere Faktoren kommen ins Spiel: Die Vernetzung.
Kommunikation und Vernetzung
Die allgegenwärtigen Möglichkeiten des Internet, mit anderen in Austausch zu treten, hat die Kommunikation verändert. Mobile Endgeräte und günstige Zugänge schafften eine Entgrenzung der Internettechnologie. Es ist ganz einfach geworden, mit anderen in Kontakt zu treten und sich zu vernetzen.
Daten in bislang isolierten Systemen können nun unkompliziert und schnell ausgetauscht werden. Regionale Grenzen spielen keine Rolle mehr. Informationen und im weiteren Sinne Wissen stehen allen Menschen mit Zugang zum Internet zur Verfügung. Die Notwendigkeit der Strukturierung von Information als Kompetenz wird wichtiger.
Angereicherte Wirklichkeit
Findet eine Verschränkung von Realität und digitaler Information statt, erreichen wir die Augmented Reality. Am zweistaatlichen Donaukraftwerk Jochenstein verwandelt eine App das Smartphone in eine 3D Brille und ermöglicht so Besuchern virtuelle Rundgänge (siehe bit.ly/2FUVe4a). Noch ausgefeilter ist das Projekt der Pflegebrille, beim dem relevante Daten für das Pflegepersonal eingeblendet werden (siehe https://pflegebrille.de).
Vernetzte Systeme mit massenhaft Daten darin und dem Menschen als Anwender führt zu einer weiteren Frage: Warum nicht diesen Systemen beibringen, wie sie selbst anhand der vorhandenen Daten Vorgänge durchführen können? Es entstehen lernende Datenverarbeitungen.
Virtual Reality
„Als virtuelle Realität, kurz VR, wird die Darstellung und gleichzeitige Wahrnehmung der Wirklichkeit und ihrer physikalischen Eigenschaften in einer in Echtzeit computergenerierten, interaktiven virtuellen Umgebung bezeichnet.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Virtuelle_Realität)
Flugsimulatoren nutzten Daten um angehenden Piloten oder Fluglotsen eine virtuelle Realität zu Trainingszwecken vorzuspielen. Doch auch für die psychologische und psychotherapeutischen Forschung und Therapie gibt es Anwendungsmöglichkeiten für VR, diese reichen von der Untersuchung zur Raumwahrnehmung bis zur Behandlung von Angststörungen. Einen Überblick bietet zum Beispiel der Blogbeitrag auf wise-mind.de: “Psychotherapie in virtuellen Welten und in den Körpern von Fabelwesen? Welche Möglichkeiten virtuelle Realitäten (VR) und andere Technologien heute schon bieten” . Und YouTube-Beiträge wie http://bit.ly/2G6LsLL geben einen realitätsnahen Einblick in die VR-Therapiemethoden.
Lernende Datenverarbeitung
Bei lernenden Datenverarbeitungen können wir nun beobachten, wie Systeme trainiert werden, um vorgegebene Abläufe ohne weitere Unterstützung wiederholt durchzuführen. Bei jedem Vorgehen nach einem definierten Fehlerbaum können auch neue Verästelungen entstehen.
Chatbots vieler Websites funktionieren als lernende Datenverarbeitung. Suchanfragen oder die Reihenfolge der Auflistungen auf Sozialen Medien erfolgen anhand der Vorlieben und erstellten Profile von Nutzern, die sich ändern und der Algorithmus sich anpasst.
Wir sprechen von Künstlicher Intelligenz. Ob es sich wirklich um Intelligenz im Sinne der Intelligenz des Menschen handelt, wird im Buch näher erläutert. Künstliche Intelligenz muss trainiert werden, dass sie dazulernen kann. Dieses Training kann durch den Menschen oder wiederum durch Systeme oder andere Künstliche Intelligenzen erfolgen. Wenn man davon ausgeht, dass Sprachassistenten der digitalen Riesen Künstliche Intelligenzen sind, trainieren Nutzerinnen jeden Tag Siri, Alexa & Co.
Die Koppelung des Hausnotrufs mit einem Sprachassistenten, der auch auf Geräusche von Bewohnern reagiert und nicht nur, wenn die Bewohner selbst aktiv werden, ist z. B. eine derartige Anwendung in der Sozialwirtschaft.
Diese Künstlichen Intelligenzen sind meistens in Form von Software vorhanden und manifestieren sich an dieser Stelle noch nicht physisch.
Intelligente cyberphysische Systeme
In der vorerst letzten Stufe des Schichtenmodells werden nun Künstliche Intelligenzen als lernende Datenverarbeitungen mit cyberphysischen Systemen verbunden. Es entstehen digital gesteuerte, intelligente Maschinen.
Roboter müssen nicht zwangsläufig selbst agieren, um uns zu unterstützen. Auch Teilentwicklungen der Robotik können dem Menschen dienen. So genannte Exoskelette, wie z. B. das von VW getestete „Paexo“ erleichtern Montagearbeiten. Mit dem Exoskelett soll die Arbeit durch mechanische Unterstützung leichter fallen. Wie ein Rucksack getragen liegt das Exoskelett am Körper an und verstärkt dabei die menschlichen Tätigkeiten wie z. B. über Kopf montieren. Arme und Schultern werden entlastet, langfristige körperliche gesundheitliche Beeinträchtigungen können so verringert werden. Nach der Testphase scheint der Serieneinsatz in der Produktion in den Startlöchern zu sein.[8] Roboter in der Industrieautomation vollzogen die letzten 10 Jahre einen großen Schritt der Entwicklung und können nun auch flexiblere Aufgaben übernehmen, als bisherige zweckgebundene, spezialisierte Maschinen.[9]
Den Begriff „Roboter“ gibt es erst seit 1921. Der tschechische Schriftsteller Karl Čapek prägte diesen in seinem Schauspiel „R.U.R.“ (Rossums Universal-Robots) – ein Weltuntergangsszenario in dem die Roboter die Weltherrschaft übernehmen. Der Begriff „robota“ geht auf das slawische Wort Fronarbeit zurück.[10]
Uns den Frondienst eines Roboters zu Nutze zu machen findet auch bei Chirurgierobotern oder Pflegerobotern Anwendung. Weitere jetzt schon existente Anwendungen sind intelligente Implantante, hirngesteuerte Körperteile oder die Augensteuerung, die uns sehr schnell an Cyborgs erinnern (sozialisiert durch etliche Genres der Filmindustrie).
Literatur und Hinweise
[1] Glasl, Friedrich (2008): Wandel der Organisationsberatung zur Prozessberatung; In: Glasl, Friedrich et al.: Professionelle Prozessberatung: das Trigon-Modell der sieben OE-Basisprozesse; 2. Aufl., Bern: Haupt Verlag
[2] Rat auf Draht wurde 1987 gegründet und versteht sich als Anlaufstelle bei Problemen, Fragen und in Krisensituationen für Kinder, Jugendliche und deren Bezugspersonen. Trägerorganisation ist 2019 aktuell der Verein SOS Kinderdorf.
[3] Die „Dargebotene Hand“ ist ein Zusammenschluss von zwölf lokal und regional verankerten, unabhängigen Organisationen unter einem gesamtschweizerischen Dachverband und bietet Telefonseelsorge.
[4] AMS Österreich
[5] Kutscher, Nadia (2018): Soziale Arbeit und Digitalisierung; In: Otto, Hans-Uwe et al. (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit. Grundlagen der Sozialarbeit und Sozialpädagogik, 6. Aufl.; München: Ernst Reinhart Verlag, S. 1431
[6] Roedenbeck Schäfer, Maja (2017): Recruiting to go für Sozial- und Pflegeeinrichtungen; Regensburg: Walhalla Verlag, S. 22
[7] Fleischmann, Albert et al. (2018): Ganzheitliche Digitalisierung von Prozessen – Perspektivenwechsel, Design Thinking, Wertegeleitete Interaktion; Wiesbaden: Springer Vieweg, S. 10
[8] Frankfurter Allgemeine Zeitung (2018)
[9] Brynjolfsson, Erik/McAffee, Andrew (2014): The Second Machine Age: Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird; Kulmbach: Börsenmedien AG, S. 42 ff.
[10] Barthelmeß, Ulrike/Furbach, Ulrike (2012): IRobot – uMan – Künstliche Intelligenz und Kultur: Eine jahrtausendealte Beziehungskiste; Berlin Heidelberg: Springer, S. 89
Bettina Wächter, Sozialmanagerin, Organisationsentwicklerin mit Schwerpunkt Qualitäts- und Prozessmanagement, HR und Datenschutz sowie Projektmanagement, Qualitätsmanagementbeauftragte und IT-Koordinatorin im oberösterreichischen Sozialunternehmen B7 Arbeit und Leben. Auch als Lehrende zum Thema Digitalisierung tätig.
Alois Pölzl, Diplomsozialarbeiter, Pädagoge, Sozial- und Bildungsmanager, beschäftigt sich seit vielen Jahren in der praktischen Sozialarbeit wie auch als Geschäftsführer und Lehrbeauftragter mit den digitalen Möglichkeiten in der Sozialen Arbeit. Er leitet heute den Fachbereich Case Management bei B7 Arbeit und Leben. Neben seiner beruflichen Tätigkeit ist er Mitglied im Aufsichtsrat der Soziale Initiative Gemeinnützige GmbH und führt den Vorsitz im Österreichischen Berufsverband der Sozialen Arbeit (obds).
Beitragsbild: binary faces, pixabay – geralt